Berlin Manuela Schwesig beim Festakt zur 60-Jahr-Feier der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Monssen-Engberding,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

sehr geehrter Herr Zierke,

sehr geehrter Herr Krüger,

sehr geehrter Herr Schneider,

sehr geehrte Beisitzerinnen und Beisitzer,

sehr geehrte Damen und Herren,

I.

"Die Bundesregierung wird ersucht, angesichts der die deutsche Jugend und die öffentliche Sittlichkeit bedrohenden Entwicklung gewisser Auswüchse des Druckschriftenwesens ein Bundesgesetz gegen Schmutz und Schund vorzulegen."

Mit diesen Worten hat der Deutschen Bundestag am 16. Dezember 1949 die Grundlage dafür gelegt,dass 1954 die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften gegründet wurde.Am 15. Juni 1954 wurde sie zum ersten Mal tätig.Schmutz, Schund, die Bedrohung der Sitten und der deutschen Jugend:Das hört sich heute alles etwas verstaubt an.

Aber die BPjM feiert in diesem Jahr ihr 60-jähriges Jubiläum,und ihre Arbeit ist noch immer unentbehrlich.Das können sicher nicht viele Einrichtungen aus dieser Zeit von sich sagen.

II.

Die Geschichte der Bundesprüfstelle ist auch eine Geschichte der Medienentwicklung in den letzten 60 Jahren.

Am 9. Juli 1954 wurde das illustrierte Westernheftchen"Der kleine Sheriff Nr. 12 - Verwegene Jagd" indiziert.Die ersten Comic-Hefte aus den USA lösten Empörung aus,auch wegen der Gewalttaten, die darin zu sehen waren.Auf den Index kamen auch Landserheftchen,die den Zweiten Weltkrieg, verharmlosend oder sogar verherrlichend,allzu sehr als spannendes Männerabenteuer darstellten.In den 70er Jahren ging es mehr um Sex.Die Bundesprüfstelle hat Erotikmagazine indiziert, wenn sie der Ansicht war, dass Frauen erniedrigt und als Lustobjekte vorgeführt wurden.Auch die ersten Ausgaben der "Bravo" kamen aus diesem Grund auf den Index.

Bis heute wird die Bundesprüfstelle aktiv,wenn Sexualität als Ware dargestellt wird,losgelöst von zwischenmenschlichen Beziehungen.Ab den 80er Jahren sorgte dann die Videotechnik für Aufruhr.Eine gesetzliche Alterskennzeichnung für Videofilme und Videospiele gab es noch nicht.

Mehr als 10.000 Videofilme kamen auf den Markt und konnten auch von Kindern angeschaut werden.Schließlich kamen Computer und Internet,mit denen sich die Bundesprüfstelle seit den 90er Jahren befasst.

III.

60 Jahre BPjM - das sind 60 Jahre Medienentwicklung,aber auch 60 Jahre, in denen sich Werte und Einstellungen gewandelt haben.Was würden diejenigen, die damals den kleinen Sheriff auf verwegener Jagd problematisch fanden, wohl heute zu einem James Bond-Film sagen?Und James Bond ist ja noch relativ harmlos.Medien sind von ihrer Zeit nicht zu trennen.

Und für Medienkritik gilt dann das, was Robert Musil geschrieben hat:"Man kann seiner eigenen Zeit nicht böse sein, ohne selbst Schaden zu nehmen."

Soll heißen: Wer hinter jedem neuen Trend Schmutz und Schund wittert, wer in jedem neuen Medium sofort die Gefahren sieht,versteht gesellschaftliche Entwicklung nicht.Genauso falsch ist es aber, jedem neuen Trend blind hinterherzulaufen.Falsch ist es auch, sich zurückzulehnen, nach dem Motto: "Verbieten bringt ja doch nichts.Dann holen es sich die Jugendlichen eben auf anderen Wegen."

Gleich welche Medien und Moden gerade "in" sind:Es gibt immer jugendgefährdende Inhalte;Inhalte, die wir Kindern aus guten Gründen nicht zeigen.Immer wieder abzuwägen und zu entscheiden, welche das sind,ist Aufgabe und Verantwortung des Jugendmedienschutzes.

Ein Jugendschutz, der Medien beobachtet, diskutiert, bewertetund, wenn nötig, indiziert, ist auch und gerade im Multimediazeitalter unersetzlich.

IV.

Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften von 1953 wurde seither mehrfach geändert.Unter anderem ist jetzt von Medien und nicht mehr nur von Schriften die Reden - logisch angesichts der technischen Entwicklung.

Seit 2003 ist das Jugendschutzgesetz maßgeblich.Mit diesem Gesetz wurden die Verbots- und Indizierungskriterien für Gewaltdarstellungen verschärft.Gleichzeitig sind die Kompetenzen der Bundesprüfstelle erweitert worden.Sie kann neben herkömmlichen Medien mit Ausnahme des Rundfunks auch alle neuen Medien indizieren.Und sie kann auf Anregung auch von Amts wegen tätig werden.Das Jugendschutzgesetz ist eine gute Rechts- und Arbeitsgrundlage.

V.

Auf zwei aktuelle Herausforderungen für den Jugendmedienschutz will ich in dieser Festrede eingehen.Ein Schwerpunkt der Prüftätigkeit der BPjM ist heute die Darstellung von Minderjährigen, vor allem im Internet, in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung.Salopp und weniger juristisch gesagt: die Grauzone rund um Kinderpornografie.Hier unterstütze ich die Änderungen im Sexualstrafrecht, die wir morgen im Kabinett beschließen werden.

Posingdarstellungen, Bilder, die Kinder bloßstellen, dürfen nicht weitergegeben, nicht verbreitet und auch nicht gehandelt werden.Weil es Kinderrechte massiv verletzt.Wir dulden das nicht und werden es im Strafgesetzbuch unter Strafe stellen.

Für einen wirksamen Schutz von Mädchen und Jungen vor sexueller Gewalt aber ist mehr nötig als dieses Gesetz.Ein Beratungsanspruch ist nötig.Bessere Hilfen und Therapien für Betroffene.Und die entschlossene Bekämpfung von Persönlichkeitsverletzungen in digitalen Medien.

VI.

Auch bei meinem zweiten aktuellen Thema geht es nur mit dem Jugendmedienschutz, aber nicht allein mit Jugendmedienschutz.Die Beisitzerinnen und Beisitzer der Bundesprüfstellesind immer wieder mit dem sogenannten Rechtsrock befasst.Rechtsextreme nutzen Medien, vor allem Musik und CDs, gern,um an Schulen für sich zu werben.Über 1.000 Tonträger mit rechten Liedern sind bereits indiziert worden.

Wir müssen auf allen Ebenen diejenigen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Vielfalt einsetzen.Lokale und bundesweite Initiativen unterstützen wir mit dem Bundesprogramm "Demokratie leben".Dazu gehört die Initiative jugendschutz.net, die rechtsextreme Inhalte im Netz ausfindig macht und dagegen vorgeht.Mit Hilfe der Kommission für Jugendmedienschutz und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

VII.

Kein Medium ist für sich genommen gut oder schlecht für Kinder.Es kommt immer darauf an, was man damit macht.Das gilt auch für das Internet,das für den Jugendschutz eine ungleich größere Herausforderung darstellt als das Druckschriftenwesen,das die Abgeordneten des Bundestags 1949 beunruhigt hat.

Wir können unsere Kinder nicht gegen das Internet erziehen.Sie wachsen mit dem Internet auf,weil es nützlich ist, weil es spannend ist

und weil es Teil des Alltags in den Familien ist.Die jungen Eltern heute sind ja selbst die Generation Facebook,

die das Internet selbstverständlich und zumeist täglich nutzt.

Selbstverständlich werfen wir kritische Blicke auf das,was sich auf den PCs und Smartphones unserer Kinder tut.Aber auch internetgewohnte Erwachsene erkennen Gefährdungen nicht auf den ersten Blick.Da gibt es viel Unsicherheit.Das fängt bei der Frage an: Wie viele Stunden Internet am Tag sind noch okay?

Deshalb meine ich, dass wir uns Gedanken über eine Digitale Agenda für Familien machen müssen.Darüber, was Familien helfen kann, die Chancen des Internet zu nutzenund die Risiken im Griff zu behalten.Ich finde Ansätze spannend, die den Jugendschutz von Anfang an,ab Werk sozusagen,bei neuen Geräten und Angeboten mitdenken und einbauen.Wenn Eltern die Möglichkeit hätten, eine Software zu kaufen, die verhindert, dass Kinder auf Seiten surfen, die nichts für sie sind,wären ganz viele bereit, Geld dafür auszugeben.

Das I-KiZ, das Zentrum für Kinderschutz im Internet, ist eine Plattform,um mit allen Beteiligten über Strategien und Lösungen zu sprechen.Damit der Jugendschutz der Medienentwicklung nicht hinterherhechelt,sondern neue Medien frühzeitig mitgestaltet.

Dafür ist ein aufmerksamer Jugendschutz nötig,eine aufmerksame Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

Ich bin dankbar, dass sich die BPjM in die Fachkommissionen des I-KiZ einbringt. Wir brauchen dort Ihre Expertise!

VIII.

Apropos Expertise:Seit ihrer Gründung sind die Entscheidungsgremien der Bundesprüfstelle pluralistisch zusammengesetzt.Die Mitglieder haben Fachkenntnisse und repräsentieren verschiedene Teile unserer Gesellschaft.Kompetente fachliche Einschätzungen und vielfältige lebenspraktische Erfahrungen kommen in den Gremien und ihren Entscheidungen zusammen.Dieser Pluralismus hat sich bewährt.

Ein weiteres wesentliches Element der Arbeit der BPjM ist das Ehrenamt.Die Beisitzerinnen und Beisitzer waren und sind Ehrenamtliche.Ihre Arbeit bringt es mit sich, dass Sie sich häufig mit belastenden Bildern auseinandersetzen müssen.Stellvertretend für unsere ganze Gesellschaft schauen Sie sich all das an, was wir unseren Kindern nicht zumuten wollen.

Und jedes Mal müssen Sie einen Schritt zurücktreten und fragen:Ist das, was ich abstoßend und eklig finde,wirklich jugendgefährdend im Sinne des Gesetzes?Das ist keine leichte Aufgabe.Sie machen das mit großem Einsatz und mit Bravour,und ich sage allen Beisitzerinnen und Beisitzern ein herzliches Dankeschön!

Ein ebenso herzliches Dankeschöngeht an Frau Monssen-Engberding,die die BPjM seit 35 Jahren leitet,und an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.Sie haben diese Einrichtung zu dem gemacht, was sie heute ist.Zu der Instanz für die Bewertung der Jugendgefährdung von Medien.

Wir wollen Medien: vielfältige, kreative, innovative Medien,Medien, die sich etwas trauen, die kritisch sindund durchaus auch mal provozieren.Medien bieten die Möglichkeit der Teilhabe,Medien vermitteln Kompetenz, Medien erweitern den Horizont.Medien sind ein Segen und eine Chance, auch für Kinder und Jugendliche.

Aber Schmutz und Schund, der die Jugend bedroht:Den wollen wir nicht.
Wir wollen keine Gewalt und Kriegsverherrlichung,keine Ausländerfeindlichkeit und keinen Rechtsextremismus.
Wir wollen nicht, dass Kinder Sex sehen,der Menschen erniedrigt.

All das wollen wir nicht,weil es das Wohl von Kindern und Jugendlichen gefährdet.Es ist immer wieder Ihre Aufgabe in der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien,abzuwägen und die richtige Entscheidung zu treffen.

Die BPjM tut dies seit 60 Jahren mit Klugheit, Einfühlungsvermögen, Mut und Augenmaß.

Ich wünsche der Bundesprüfstelle, den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso wie den Beisitzerinnen und Beisitzernauch für die nächsten Jahre gute Diskussionen und kluge Entscheidungen. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!