Weimar Manuela Schwesig bei der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Ministerin,
liebe Heike Taubert,
sehr geehrte Damen und Herren,

I.

es gibt kaum eine Stadt, in der die Geschichte so lebendig ist wie in Weimar. Weimar ist Stadt der Kunst und der Kultur. An erster Stelle fallen jedem sofort die Namen

  • Goethe und Schiller ein.
  • Franz Liszt hat hier über 17 Jahre lang musikalisch gewirkt, 
  • die Bach-Söhne Friedemann und Carl Philipp Emanuel - letztgenannter feiert dieses Jahr seinen 300. Geburtstag - sind hier geboren.

Die Stadt war auch Namensgeberin für die Weimarer Republik. Mit diesem Namen verbindet sich der erste praktische Versuch in der deutschen Geschichte, einen demokratischen Staat zu etablieren.

Politisch entwickelte sich Weimar zwischen den Weltkriegen allerdings auch zu einem Zentrum nationalistischer Strömungen. 1926 hielt die NSDAP hier ihren zweiten Parteitag nach der Neugründung ab, und die Hitlerjugend wurde gegründet. Für die Nationalsozialisten war Weimar von großer symbolischer Bedeutung: als Gründungsort einer verhassten demokratischen Republik und als Zentrum der großen deutschen Kulturtradition.Die Nazis wollten, dass Weimar eine Nazi-Stadt wird - unbedingt. Auch deshalb prallt das Erbe der Kulturnation gerade hier so hart auf das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Buchenwald liegt direkt bei Weimar und mahnt unablässig.

Unser Land und die ganze Welt führte der Nationalsozialismus innerhalb von 12 Jahren in den Zweiten Weltkrieg und das Jahrhundertverbrechen, den Holocaust. Und auch Weimar litt unter den Folgen des von den Nazis entfesselten Krieges. Die Stadt wurde mehrfach bombardiert, massiv zerstört.

Heute erstrahlt Weimar in neuem Glanz und arbeitet seine Geschichte vielfältig auf. Und doch sind die Schatten der Vergangenheit in unserem Land noch immer präsent. Das hat die Mordserie der NSU-Terrorzelle allzu deutlich werden lassen. Rechtsextremismus und Nazis sind auch fast 70 Jahre nach Kriegsende Teil unserer Realität.

Ich weiß wovon ich rede. In meiner Wahlheimat Mecklenburg-Vorpommern warfen Nazis erst im vergangenen Oktober in Güstrow Brandsätze in eine Unterkunft für Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Und ein halbes Jahr zuvor musste der Bürgermeister von Güstrow, Arne Schuldt, die Parole "Lichtenhagen kommt wieder" von der Fassade seines Hauses entfernen lassen. Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, bei dem tagelang eine Unterkunft von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern angegriffen wurde, ist im Land noch in schlimmer Erinnerung.

In Mecklenburg-Vorpommern sitzt die NPD seit 2006 auch im Landtag und versucht, das Image der Molotowcocktails abzulegen. Das hat Methode. Das Gesicht des Rechtsextremismus hat sich in den letzten 10, 15 Jahren gewandelt. Der Slogan "Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente" hat bei den Rechtsextremisten seinen Umsetzungsschwerpunkt derzeit in den letzten zwei Punkten.

Der Rechtsextremismus kommt heute nicht mehr polternd in Springerstiefeln daher wie in den 90er Jahren, sondern schleicht sich auf leisen Sohlen heran. Nazis spielen vor, sozialen Ideen zu folgen und nah an den Menschen zu sein. Hinter dieser Maske steckt aber nach wie vor die gefährliche Ideologie des Rechtsextremismus. Manchmal ist sie bloß schwer zu erkennen.

Die NPD versucht, sich als normale Partei in den Parlamenten zu etablieren. Und sie ist gesellschaftlich aktiv, hilft in sozialen Brennpunkten mit Beratungen oder veranstaltet vermeintlich harmlose Bürger- und Stadtteilfeste. Sie versuchen, unsere Zivilgesellschaft zu unterwandern. Es wäre fatal, diese Strategie zu ignorieren. Es wäre auch falsch, darauf zu hoffen, dass die Rechtsextremisten irgendwann von selbst verschwinden, wenn wir dieses Thema ignorieren.

Auch hier in Weimar hat die NPD vor wenigen Wochen wieder ein Gemeinderatsmandat gewinnen können. Sie sitzt mit am Tisch, wenn über Politik im direkten Lebensumfeld der Menschen debattiert und entschieden wird.

Rechtsextremismus ist aber nicht nur ein Phänomen in Ostdeutschland. Kurz vor Pfingsten hat uns eine Studie aufhorchen lassen. Zwar sind insgesamt rechtsextreme Einstellungen auf dem Rückzug, was auch den Erfolg der Arbeit gegen rechts belegt. Aber immer noch

  • haben 18 Prozent ausländerfeindliche Einstellungen,
  • finden 36 Prozent, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte,
  • und wollen 47 Prozent Sinti und Roma aus Innenstädten verbannt sehen.

Damit bleibt es in ganz Deutschland wichtig, sich weiter gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Vielfalt einzusetzen. Die Arbeit hört nicht auf, sie muss intensiviert werden.

Wer sich für ein buntes und weltoffenes Land einsetzt, der muss unterstützt werden. Initiativen und Projekte, die dabei helfen dieses Land lebenswerter zu machen, brauchen unsere Aufmerksamkeit. Sie sind es die dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft besser wird. Gerade beim Eintreten für Demokratie und Vielfalt ist es nicht egal, ob sich jemand engagiert oder nicht.

II.

Mit dem aktuellen Bundesprogramm "TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN" (TFKS) sind Aktivitäten gefördert worden, die die Demokratie stärken und Zeichen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus setzen.

Das Bundesprogramm TFKS setzt auf den Dreiklang von Prävention, Erprobung und Beratung. Dafür stehen die drei Handlungskonzepte:

  • Lokale Aktionspläne,
  • Modellprojekte und
  • landesweite Beratungsnetzwerke.

In den Lokalen Aktionsplänen arbeiten die kommunal Verantwortlichen und die lokalen Akteure auf "Augenhöhe" zusammen. Sie binden diejenigen ein, die an die Menschen herankommen:

  • Vereine, Verbände, Initiativen,
  • Kirchen und Schulen,
  • engagierte Bürgerinnen, Bürger, wichtig auch: Jugendliche.

Gemeinsam werden passgenaue lokale Strategien gegen rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Tendenzen vor Ort entwickelt und Initiativen umgesetzt. Konzerte und Lesungen, Aufklärungsaktionen an Schulen, in Sportvereinen oder auf Volksfesten sind Beispiele hierfür.

In den Modellprojekten werden unterschiedliche Ansätze und Methoden zur Prävention von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus erprobt.

  • Manche Projekte beschreiten neue Wege der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit. Junge Menschen diskutieren die Zeit des Nationalsozialismus und die Folgen für unser heutiges Leben.
  • Andere Modellprojekte fördern das interkulturelle und interreligiöse Lernen. Kinder mit und ohne Migrationshintergrund sollen möglichst konkret erfahren, wie wichtig Werte wie Vielfalt, Toleranz und Demokratie für unser Zusammenleben sind.

In den landesweiten Beratungsnetzwerken erhalten Bürgerinnen und Bürger kompetente Beratung und Hilfe bei rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Vorfällen und Übergriffen. Beraten werden:

  • Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind,
  • oder Fachpersonal aus dem pädagogischen Bereich, denen die Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut aufgefallen ist,
  • oder Eltern, die befürchten, ihr Sohn oder ihre Tochter könnten Mitglied einer rechtsextremistischen Organisation sein.

Das Bundesprogramm soll die Akteure zusammenbringen und vernetzen. Allen Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie das Signal aussenden: Extremisten haben in unserer Demokratie keinen Platz!

III.

Das Thüringer Landesprogramm ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Arbeit und die Impulse des Bundes mit Initiativen der Länder verschränken lassen:

  • Das Land Thüringen hat das Konzept der "Lokalen Aktionspläne" aufgegriffen und das Angebot flächendeckend bereitgestellt. Aktuell werden im Bundesprogramm 16 Lokale Aktionspläne in Thüringen gefördert.
  • Das Land Thüringen finanziert eigenständig 6 Lokale Aktionspläne und beteiligt sich an der Finanzierung von weiteren 6 Lokalen Aktionsplänen, die sich aktuell in der Nachhaltigkeitsförderung des Bundes befinden.
  • Als Anpassung an den Bedarf vor Ort hat das Land Thüringen darüber hinaus zusätzliche Mittel für die Finanzierung externer Koordinierungsstellen in den Lokalen Aktionsplänen zur Verfügung gestellt.

In der Umsetzung lokaler Aktionspläne hat sich gezeigt, dass es vor Ort sinnvoll sein kann, Interventionsfonds einzurichten, um zivilgesellschaftliche Initiativen für Demokratie und Vielfalt unbürokratisch zu unterstützen. Das Land Thüringen hat diese Idee aufgenommen. Es gibt einen solchen Interventionsfonds als eigenständigen Förderstrang im Landesprogramm.

Ich finde es vorbildlich, wie sich das Land einsetzt. Danke an Frau Ministerin Heike Taubert für die Zusammenarbeit für Demokratie und Vielfalt, gegen Rechtsextremismus! Danke, dass Sie den Einsatz des Bundes für Demokratie und Vielfalt unterstützen! Danke, dass wir nicht nur in der Zielsetzung, sondern auch in der Programmgestaltung an einem Strang ziehen!

Die Arbeit gegen Rechtsextremismus ist nicht ungefährlich und sie verlangt, sich auf einen Gegner einzustellen, der seine Strategie und Taktik häufig ändert. Der Erfahrungstransfer und die Fortbildung von Fachkräften sind deswegen so ungemein wichtig. Den ersten Maßnahmen des Bundes hat das Land Thüringen sinnvolle und ergänzende Angebote zur Seite gestellt. Seit 2013 existiert ein Fortbildungsangebot für zehn Zielgruppen, darunter

  • Lehrer und Lehrerinnen,
  • Fachkräfte der Jugendhilfe,
  • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Verwaltungen
  • und der Polizei.

Es geht nur in Zusammenarbeit zwischen Land und Bund. Wir tauschen uns regelmäßig aus und wir müssen unsere Kräfte bündeln: gegen Rechtsextremismus in all seinen Erscheinungsformen.

IV.

Ich werde der Arbeit vor Ort zukünftig noch mehr Beachtung schenken. Hier steckt die Fachkompetenz über rechte Strukturen und es gibt viele erfolgreiche Projekte, die immer wieder um ihre Mittel und eine Verlängerung der Arbeit bangen. Ich will den Anstrengungen im Bereich Rechtsextremismusprävention und Demokratieentwicklung deutlich mehr Nachhaltigkeit verleihen. Es muss darum gehen, wie wir Zivilcourage vor Ort stärken können.

Mit der Abschaffung der Extremismusklausel haben wir dabei gemeinsam schon einen ersten Erfolg verbuchen können. Ich will diejenigen vor Ort unterstützen, die sich Nazis entgegenstellen. Ihre Arbeit müssen wir wertschätzen und nicht erschweren. Das Engagement vor Ort leidet heute unter Projekteritis. Wir brauchen nicht immer neue Modellprojekte, die dann wieder auslaufen, sondern starke, nachhaltige Strukturen.

Ich will deshalb als nächsten Schritt nach Beendigung des derzeitigen Programms mit Beginn des Jahrs 2015 mit einem neuen Programm starten.

  • Hierbei werden die Entwicklung und Umsetzung von lokalen Strategien weiterhin zentral sein.
  • Dazu soll es eine längerfristige Förderung bundesweiter Träger geben. Damit möchte ich mehr Kontinuität in der Arbeit gegen Rechtsextremismus erreichen.
  •  Wissen und Erfahrung bei den Aktiven vor Ort können damit besser erhalten bleiben.
  • Außerdem werden wir uns weiteren Herausforderungen zu stellen haben: Homophobie, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit und der Umgang mit Flüchtlingen sind nur einige Stichpunkte.

Die neue Ausrichtung erfolgt unter Einbeziehung verschiedener Akteure, darunter

  • Träger und Initiativen,
  • die Wissenschaft und
  • alle Bundesländer.

In mehreren Gesprächen hat mein Haus Informationen zu Vorstellungen und Möglichkeiten der Ausrichtung einer neuen Programmstruktur aus erster Hand eingeholt. In den kommenden Wochen werden drei Workshops stattfinden, damit am 1. Juli die Eckpunkte des neuen Programms stehen.

Der Dialog mit allen Akteuren ist zugleich ein Signal für eine Partnerschaft von Staat und Zivilgesellschaft. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe, die auf Respekt und Vertrauen beruht. Ich will weder die Projekte und Initiativen noch die Kommunen mit der Arbeit vor Ort alleine lassen. Der Bund kann und muss dauerhaft in den Kampf gegen Rechtsextremismus stärker als bisher einsteigen.
Ich werde die Programme neu ausrichten, ich werbe für einen neuen Dialog von Förderern und Geförderten, und ich habe mich auch organisatorisch und inhaltlich in meinem Ministerium neu aufgestellt:

  • Für die Neuausrichtung ist das neue Referat "Demokratie und Vielfalt" von Thomas Heppener zuständig - und zwar in der neu geschaffenen Unterabteilung Engagementpolitik.
  • Wir haben im Ministerium einiges umorganisiert, um die Kräfte zu bündeln.
  • Aber auch, um dem Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements einen höheren Stellenwert und damit auch eine größere Wertschätzung zukommen zu lassen.

V.

Demokratieentwicklung und Rechtsextremismusprävention sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, bei denen alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure Hand in Hand arbeiten müssen. Mit einem neuen Bundesprogramm möchte ich Strukturen der Präventionsarbeit schaffen, die in der Fläche wirken und nachhaltig sind.

Dabei werden wir profitieren von der Arbeit in den Ländern vor Ort wie hier in Thüringen. Es gilt, im Kampf gegen rechts die Kräfte zu bündeln, starken Ideen zur Nachhaltigkeit zu verhelfen und nachhaltige Strukturen zu stärken.

Nie wieder soll die Demokratie in Deutschland daran scheitern, dass zu wenige Menschen bereit sind, diese Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen.

Nie wieder sollen Nazis die Oberhand gewinnen - in keinem kleinen Dorf, in keinem Stadtparlament, in keinem Landstrich. Dafür will ich mit Ihnen gemeinsam kämpfen.