Berlin Manuela Schwesig bei der nationalen Auftaktveranstaltung zu Erasmus+

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Kommissarin Vassiliou,
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Wanka,
sehr geehrte Frau Ministerin Löhrmann,
sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments,
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestags,
sehr geehrte Damen und Herren,

I.

wenn man den Begriff "Erasmus" in eine bekannte Suchmaschine im Internet eingibt, erhält man auf einen Schlag über 12 Millionen Treffer. Allerdings findet sich unter den ersten Fundstellen keine einzige, die sich auf den humanistischen Gelehrten Erasmus von Rotterdam aus dem 15. Jahrhundert bezieht.
Wie selbstverständlich verweist die Suchmaschine auf Seiten von Universitäten, des Deutschen Akademischen Austauschdiensts, zu Erfahrungsberichten über die WG-Suche in Barcelona oder auf Antragsformulare. Erasmus steht heute vor allem für grenzüberschreitenden Austausch und internationale Erfahrungen von jungen Menschen.

Freunde im Ausland, längere Aufenthalte an europäischen Schulen und Universitäten oder die freiwillige Arbeit in internationalen Projekten: Für eine ganze Generation junger Europäerinnen und Europäer gehört all das heute zum Erwachsenwerden dazu. Junge Menschen machen damit heute Erfahrungen, die kaum eine Generation vor ihnen machen konnte.

Jugend ist für mich eine ganz eigenständige Lebensphase mit vielen Herausforderungen und großen Möglichkeiten. Mir geht es um eine eigenständige Jugendpolitik, die eben nicht nur auf Probleme und Defizite schaut, sondern vor allem Perspektiven und Freiräume eröffnet. Dazu gehört Jugendlichen, vor allem auch grenzüberschreitend, Zeit zum Ausprobieren zu geben.

Erasmus ist dafür zu einer wahren Marke geworden, die für internationalen Austausch steht. Allerdings bezieht sich das Programm vor allem auf den schulischen und universitären Austausch. Internationale Erfahrungen sammeln junge Menschen jedoch auch über viele Jugendprojekte und -initiativen, über Begegnungen außerhalb der klassischen Bildungseinrichtungen.

Und deswegen ist es aus meiner Sicht richtig, dass viele einzelne Programme zur Förderung von lebenslangem Lernen, Jugend und Sport und dem Bildungsbereich zum 1. Januar dieses Jahres unter dem Dach "Erasmus+" zusammengefasst wurden. Das bietet den beteiligten Trägern und ihren Projekten eine Chance, sich für die Zukunft aufzustellen und sichtbar zu positionieren.

Herzlichen Dank für die Gelegenheit über die jugendpolitischen Aspekte dieses neuen Programms sprechen zu können.

II.

Mit Erasmus+ fängt die jugendpolitische Kooperation in Europa nicht bei null an, sondern eine erfolgreiche Arbeit wird fortgesetzt. Seit 25 Jahren haben die jugendpolitischen Programme der EU junge Menschen und Fachkräfte in der Jugendarbeit

  • zusammengebracht,
  • interkulturellen Austausch gefördert
  • und grenzüberschreitendes Lernen ermöglicht.

Zu Beginn waren die Programme noch fast ausschließlich auf Jugendbegegnungen ausgerichtet. Mit den Jahren wurden sie jedoch vielfältiger. Neben multilateralen Begegnungen von Jugendlichen waren nun auch Projekte möglich, an denen sich nur zwei Länder beteiligen. Die Vielfalt wurde größer, die Möglichkeiten sich international auszutauschen bunter und differenzierter. Jugendliche konnten zum Beispiel selbst Initiativen ergreifen und sich für ihre Ideen Unterstützung holen. Zudem wurden im Laufe der Zeit verstärkt Fachkräfte in der Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Jugendbildung in den Blick genommen.

Mit dem Europäischen Freiwilligendienst entstand im Jahr 2000 eine völlig neue Möglichkeit für das freiwillige Engagement junger Menschen in Europa. Die Mitgliedsstaaten der EU einigten sich auf einheitliche Bedingungen und identische Verfahren für einen Freiwilligendienst in Europa, der allen jungen Menschen offen steht. Er ermöglicht seitdem eine pädagogische Begleitung der Jugendlichen und professionalisiert damit die Projekte und Initiativen. Jugendliche bekommen durch den Europäischen Freiwilligendienst noch mehr Freiraum um zu lernen und sich persönlich weiterzuentwickeln.

Die Europäische Kommission bekräftigte mit einem Weißbuch im Jahr 2001 ihren Willen, Jugendliche stärker in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und der europäischen Jugendpolitik einen neuen Rahmen zu geben.

Seit 2009 bildet die "EU-Jugendstrategie" genau diesen Rahmen. Mit der EU-Jugendstrategie ist es gelungen Jugendliche nicht nur als Zukunftsressource zu sehen, sondern die Rechte und Bedürfnisse Jugendlicher stärker in den Blick zu nehmen. Im Rahmen der EU-Jugendstrategie steht das Programm JUGEND IN AKTION seitdem im Mittelpunkt, es ist das jugendpolitische Instrument der EU.

III.

Im Zuge der Neuverhandlungen des Budgets für die Europäische Union nach 2013 hat sich das Bundesfamilienministerium in den Programmverhandlungen dafür eingesetzt, dass die Erfolgsgeschichte der Jugendprogramme auch nach 2013 fortgeschrieben werden kann.

Dies ist - ohne Zweifel - gelungen. JUGEND IN AKTION bleibt erhalten und wird Bestandteil von Erasmus+.

Finanziell ist das Programm besser aufgestellt denn je:

  • Erasmus+ wird mit einem Gesamtbudget von fast 15 Mrd. Euro bis zum Jahr 2020 ausgestattet.
  • Für den Programmteil JUGEND IN AKTION werden rund 1,5 Mrd. Euro zur Verfügung stehen und damit mehr Mittel als jemals zuvor. Die Mittel erhöhen sich um mehr als 50 Prozent gegenüber der letzten Förderphase.
  • Wir erwarten mehr als 500.000 junge Menschen, die im Ausland einen Freiwilligendienst leisten oder an einem Jugendaustausch teilnehmen können.
  • Bis zu 100.000 in der Jugendarbeit tätige Menschen werden sich im Ausland und in Deutschland über Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Jugendhilfe auseinandersetzen.
  • Und hunderttausende junger Menschen werden sich an einem politischen Dialog mit politischen Entscheidungsträgern beteiligen können.

Fast alles, was JUGEND IN AKTION und seine Vorläuferprogramme ausgemacht hat, findet sich in Erasmus+ wieder. So bleibt die Vielfalt der geförderten Projekte erhalten. Weiterhin wollen wir Jugendliche animieren und motivieren sich über Grenzen hinweg zu engagieren. Und auch der Fokus, die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter immer besser zu machen und interkulturell zu schulen, bleibt bestehen.

Wir haben uns bei der Neuausgestaltung aber ebenso dafür stark gemacht, dass sich die praktischen und politischen Möglichkeiten im Jugendbereich in der neuen Programgeneration erweitern. Was bedeutet das?

JUGEND IN AKTION wird zukünftig noch stärker zur konkreten Umsetzung der EU-Jugendstrategie beitragen. Das heißt, dass wir noch größere Anstrengungen unternehmen werden

  • mehr Möglichkeiten und mehr Chancengleichheit für alle jungen Menschen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen
  • und das gesellschaftliche Engagement und die Solidarität aller jungen Menschen zu fördern.

Bund und Länder haben sich zur nationalen Umsetzung der EU-Jugendstrategie dafür auf die gemeinsame Umsetzung von drei Schwerpunktthemen verständigt. Wir wollen:

  • Partizipation fördern und Demokratie stärken;
  • soziale Integration und gelingende Übergänge in die Arbeitswelt ermöglichen;
  • und eine Aufwertung und Anerkennung informeller und nichtformaler Bildung unter Wahrung der Standards und Konzepte der Jugendarbeit erreichen.

Das sind große Themen, die aber erlebbar vor Ort umgesetzt werden müssen. Partizipation muss vor Ort erlebbar sein, junge Menschen müssen aber auch bei Beschlüssen auf Bundes- und EU-Ebene das Gefühl haben, dass dort nicht ihre Zukunft ohne ihre Mitsprache "verplant" wird.

Für mich als Jugendministerin ist die wirkungsvolle Verbindung von JUGEND IN AKTION in Erasmus+ mit den Zielsetzungen der EU-Jugendstrategie der zentrale Schwerpunkt bei der Umsetzung des Programms.

Dabei hilft uns, dass JUGEND IN AKTION insgesamt strategischer angelegt ist und bisherige Grenzen überwindet. So wird es zukünftig möglich sein, dass Projekte sektorübergreifend zusammenarbeiten können. Das heißt zum Beispiel, dass Bildungsprojekte vermehrt mit Jugendlichen arbeiten sollen, die sich mit Umweltschutz oder Nachhaltigkeit beschäftigen. Bildungsprojekt bleibt nicht allein Bildungsprojekt, sondern kann sich Partner suchen, die den eigenen Ansatz erweitern.

Wiederum wollen wir, dass insbesondere Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen Teilhaben erfahren und dabei zum Beispiel auch eine neue Sprache erlernen sollen.

Es geht also um die Verknüpfung von Kompetenzen in der Jugendarbeit. Wir wollen Parallelstrukturen aufbrechen und ein Miteinander der vielen guten Ansätze der Jugendarbeit erreichen. So wird es mit Hilfe der sogenannten Strategischen Partnerschaften innerhalb von JUGEND IN AKTION mit Sicherheit auch gelingen Innovationen in der Kinder- und Jugendhilfe hervorzubringen und neue Ideen zu etablieren.

Strategischer zu werden heißt auch, dass künftig nicht nur Einzelmaßnahmen gefördert werden, sondern Pakete mit mehreren Programmen geschnürt werden sollen. Somit sind längerfristige und umfassendere Projekte für Jugendliche möglich. Es herrscht mehr Planungssicherheit bei den Trägern und die Initiativen können kreativer werden. Die einzelnen Felder der Jugendarbeit können so gestärkt werden und das Programm entwickelt eine viel größere Wirkung, als dies mit vielen einzelnen Projekten möglich ist.

JUGEND IN AKTION soll künftig politischer werden. Ich halte diesen Aspekt angesichts eines immer stärker werdenden Rechtspopulismus in ganz Europa für absolut entscheidend. Ich würde mich freuen, wenn es gelingen würde, Demokratie und Teilhabe, Toleranz und Vielfalt grenzübergreifend in spannende Projekte umzusetzen. Eine Jugend Europas, die Demokratie und Vielfalt als Werte früh erlernt und persönlich erlebt, ist am besten dafür gewappnet sich extremen und demokratiefeindlichen Argumenten zu erwehren.

Dafür werden Jugendliche auch viel mehr in Kontakt mit politischen Entscheidungsträgern kommen. Sie müssen stark gemacht werden sich einzumischen, mitzureden, sich einzubringen. Im Rahmen des sogenannten Strukturierten Dialogs soll es gelingen, dass die Positionen und Forderungen junger Menschen zu Themen der europäischen Jugendpolitik Gehör finden.

Viele Projekte werden künftig also einen direkten und regelmäßigen Austausch zwischen Jugendlichen und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern ermöglichen. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen uns dann mit den Ideen und Anliegen der Jugendlichen auseinandersetzen und Rede und Antwort stehen.

IV.

Ich bin davon überzeugt, dass wir unter dem neuen Dach Erasmus+ viele gute Ideen, die bereits bestehen, erhalten können und die Neuerungen einen Mehrwert bringen.

Ich will, dass so viele junge Leute wie möglich die Chance bekommen, in Europa mit anderen jungen Europäerinnen und Europäern zu lernen, zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln.

Davon profitieren sie persönlich und wir als Gesellschaft. Für junge Menschen ist ein Europa ohne Grenzen schon fast selbstverständlich. Vor zwanzig Jahren war es das noch nicht. Und angesichts der aktuellen Debatten um eine exorbitant hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa oder die bedrohliche Situation in der Ukraine gewinnt die friedenstiftende Idee von Europa wieder eine neue Dimension.

Austausch und Freundschaften innerhalb Europas sind die besten Voraussetzungen dafür, dass die Idee eines freien und offenen Europas noch viele Generationen erhalten bleibt. Dafür sollten wir den jungen Leuten von heute so viel Europa wie es irgend geht ermöglichen.