Berlin Bundesministerin Manuela Schwesig beim Unternehmenstag "Erfolgsfaktor Familie"

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Dr. Schweitzer,
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
sehr geehrte Damen und Herren,

I.

Anfang Januar erreichte mich die E-Mail eines Arbeitsvermittlers. Er gratulierte mir zunächst zu meiner Ernennung und kam dann schnell zur Sache.

Ihm gegenüber säßen tagtäglich viele Menschen. Vor allem für Frauen sei das aber trotz der guten wirtschaftlichen Lage des Landes gar nicht so einfach. Einige Frauen sind alleinerziehend und fänden darum besonders schwer eine neue Stelle. Ein Hauptgrund für die Schwierigkeiten einen Job zu finden, sei, so der Arbeitsvermittler, dass viele Arbeitgeber zu unflexibel in Sachen Arbeitszeit seien. Eine Frau mit Kind, die zunächst vielleicht nur Teilzeit arbeiten will: darauf seien noch zu wenige Arbeitgeber eingestellt.

Andererseits erreichen mich viele Zuschriften von Arbeitgebern, die mir von dem Erfolg ihrer familienfreundlichen Arbeitsmodelle berichten. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien viel motivierter und die Anstrengungen würden sich für das Unternehmen auszahlen.

Allein am Posteingang des Ministeriums ist abzulesen, dass etwas in Bewegung gekommen ist.

Nach langen Debatten darüber,

  • dass die Kosten des Sozialstaates deutsche Unternehmen belasten,
  • nach langen Jahren von Massenarbeitslosigkeit
  • und Forderungen nach mehr Flexibilität beim Kündigungsschutz

hat sich die Landschaft verändert.

Wir reden heute

  • über mehr öffentliche Investitionen - auch in die soziale Infrastruktur,
  • darüber wie Unternehmen mehr Fachkräfte behalten und gewinnen können,
  • und über mehr Flexibilität, aber im Sinne von Arbeitsmodellen, die Unternehmen attraktiv für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen.

Man kann daran ablesen, dass die Erfolgsfaktoren für erfolgreiches Wirtschaften andere geworden sind. Es sind genau jene Parameter, die als "weich" und damit lange als vernachlässigbar angesehen wurden: Vereinbarkeit von Familie und Beruf beziehungsweise Arbeitszeitmodelle, die mehr Partnerschaftlichkeit zulassen. Sie sind aus meiner Sicht entscheidend für den weiteren Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Ich glaube, dass der Kita-Platz oder eine flexible Teilzeitregelung genauso harte Wettbewerbsfaktoren sind, wie Energie- oder Rohstoffkosten.

Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer wissen das bereits. Sie alle leben etwas in Ihren Unternehmen, was ich mir für ganz Deutschland wünsche: Sie respektieren die Wünsche von Eltern nach einer guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Sie schreiben Familienfreundlichkeit in Ihrer Unternehmenskultur groß.

Die Palette Ihrer Angebote ist breit. Es gibt Unternehmen:

  • die dafür sorgen, dass keine Besprechungstermine außerhalb gesicherter Kinderbetreuungszeiten stattfinden, 
  • die Karrieren in Teilzeit für Männer und Frauen fördern oder Ausbildung in Teilzeit anbieten, um die besten Köpfe und die qualifiziertesten Kräfte zu gewinnen,
  • die familienfreundliche Schichtmodelle entwickelt haben, zum Beispiel mit Hilfe von Jahresarbeitszeitkonten.

Auch die Zahlen unseres Unternehmensmonitors Familienfreundlichkeit, den das Institut der Deutschen Wirtschaft seit 2003 regelmäßig durchführt, bescheinigen, dass immer mehr Unternehmen auf Familienfreundlichkeit setzen. 

Mehr als 5000 Unternehmen in Deutschland sind wie Sie Mitglied in unserem gemeinsamen Netzwerk familienfreundlicher Unternehmen.

Mit unserem Netzwerk ist es gelungen, die Idee der Familienfreundlichkeit in die Wirtschaft zu tragen und dort fest zu verankern. Aber wir brauchen noch viel mehr Unternehmen - vor allem im Mittelstand -, die mitmachen.

Ich freue mich, mit Herrn Dr. Schweitzer einen starken Mitstreiter an meiner Seite zu haben. Dafür, lieber Herr Dr. Schweitzer, meinen herzlichen Dank!

II.

Wir haben schon viel erreicht - auch dank der Arbeit, die Sie als vorbildliche Unternehmen vor Ort leisten. Ich will mit Ihnen gemeinsam aber weiter vorankommen und der Debatte um Familienfreundlichkeit in Unternehmen einen neuen Schub verleihen.

Dass dies nicht einfach wird, dafür genügt ein Blick in die Zeitungen - von FAZ bis Süddeutsche, über Spiegel und Zeit - : Die Debatten werden von Journalistinnen und Journalisten breit geführt, warum Vereinbarkeit von Familie und Beruf für junge Menschen so schwierig ist.

In manchen Augen gar: Unmöglich.

  • "Vereinbarkeit ist eine Lüge"
  • "Die große Erschöpfung"
  • "Man muss wahnsinnig sein, heute ein Kind zu kriegen"
  • "Deutsche Unternehmen sind familienfeindlich"

- So die Überschriften

Und mich erreichen viele Briefe von Menschen, die sich über die fehlende Flexibilität ihrer Arbeitgeber beklagen. Ein Leiter einer IT-Abteilung schrieb mir, sein Unternehmen habe ihm mitgeteilt, dass man sich "eigentlich keinen Abteilungsleiter in Teilzeit vorstellen kann".

Eine aktuelle Studie unterstreicht das: Nur für ein Drittel der Befragten ist Familienfreundlichkeit in ihrem Unternehmen eine Selbstverständlichkeit.

Und das, obwohl fast jedes Unternehmen in Deutschland familienfreundliche Angebote bereithält.

Wie kann das sein?

Die Lebenswirklichkeit der jungen Leute hat sich verändert. Das alte Modell: Der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau kümmert sich um Haus und Kinder und verdient dazu, entspricht schon lange nicht mehr den Wünschen der heutigen Eltern. In ihren Vorstellungen von einem guten Leben gibt es beides: Zeit für den Beruf und Zeit für ein Leben mit Kindern. Die Familien suchen damit nach einer neuen Lebensqualität.

Doch wer jungen Paaren zuhört, kann ihre Unzufriedenheit nicht überhören:

  • Die Mütter sind unzufrieden, denn sie haben in den vergangenen Jahren zwar erfahren, dass der Wiedereinstieg nach der Geburt ihrer Kinder klappt, aber die verantwortungsvollen Jobs anderen gegeben werden.
  • Auch die Väter sind unzufrieden. Ihnen wird vielfach die Rolle zugeteilt, das Geld nach Hause zu bringen, anstatt sich stärker in der Familie einbringen zu können, wonach ihnen der Sinn steht.

Dabei ist vollkommen klar was junge Eltern heute wollen: Am liebsten hätten beide, Mutter wie Vater, gern beides, Familie und Beruf, und zwar in einem guten Miteinander. Es geht eben nicht mehr nur um Einkommen um jeden Preis, sondern um eine gute Balance im Leben.

60 Prozent der Paare mit kleinen Kindern halten eine Partnerschaftlichkeit bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für das ideale Lebensmodell. Allerdings gelingt es nur 14 Prozent der Eltern, diesen Wunsch auch umzusetzen.

Diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die zu großer Unzufriedenheit führt, müssen wir gemeinsam überwinden. Dafür ist Politik da: die Lebensrealität der Menschen zum Besseren zu verändern!

Und gerade Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen gute, motivierte Fachkräfte, die genauso gern arbeiten wie für ihre Familie da zu sein.

Und als Land im demografischen Wandel brauchen wir alle Köpfe. Das hat der zweite Fortschrittsbericht zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung, den wir kürzlich im Kabinett verabschiedet haben, noch einmal sehr deutlich gemacht. Wegen fehlender Fachkräfte erleiden Unternehmen schon heute Umsatzeinbußen in Milliardenhöhe.

Es gibt einen Lösungsweg, der uns gemeinsam interessiert: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und Frauen in die Arbeitswelt holen! Bei Frauen liegt - technisch gesprochen - das größte und am schnellsten zu aktivierende Fachkräftepotenzial im Inland. Aber vor allem können Sie es sich als Unternehmen einfach nicht leisten, die am besten ausgebildete Generation von Frauen zu Hause sitzen zu lassen!

Für Unternehmen heißt das: wer Mütter gewinnen will, muss auch Vätern Angebote zur Vereinbarkeit machen. Vereinbarkeit braucht eine starke partnerschaftliche Komponente.

Wenn Väter und Mütter entsprechend ihren Wünschen beide vollzeitnah arbeiten, gewinnen nicht nur die Familien mehr Zeit füreinander, sondern auch für die Wirtschaft dürfte sich ein Gewinn an Produktivität einstellen.

Wir werden dieser Frage jetzt in einer  Studie  wissenschaftlich nachgehen.

Ich glaube, dass hier ein großes Potenzial für unser ganzes Land steckt, für die Familien, aber auch für jedes einzelne Unternehmen.

III.

Dabei ist klar: Die Verantwortung, damit Familien wieder mehr Zeit miteinander verbringen können und echte Partnerschaft möglich ist, trägt niemand allein. Die Eltern nicht, die Unternehmen nicht, und auch nicht die Politik.

Politik und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten, um Vätern und Müttern Partnerschaftlichkeit zu ermöglichen.

Ich empfehle deshalb, in unserem Unternehmensnetzwerk einen Schwerpunkt auf die partnerschaftliche Aufgabenverteilung von Müttern und Vätern zu legen und vor allem die Männer in den Blick zu nehmen.

Mit unseren Dialogkreisen, mit praktischen Handreichungen und verschiedensten Veranstaltungen will ich gemeinsam mit Ihnen das Thema in die Wirtschaft tragen.

  • Wie sieht Vereinbarkeitspolitik für Väter aus?
  • Wie funktioniert Führung in Teilzeit?
  • Wie können wir Teilzeitmodelle modernisieren?

IV.

Neben den Voraussetzungen in der Wirtschaft sind auch die Rahmenbedingungen entscheidend. Dazu gehört, dass die Infrastruktur stimmt: Deshalb werde ich den Ausbau der Kinderbetreuung weiter vorantreiben.

Wichtig ist vor allem, dass es nicht nur um die blanke Zahl der Betreuungsplätze geht, sondern auch um die Verbesserung der Qualität! Familien wollen ihre Kinder gut bereut sehen!

V.

Abgesehen von der Betreuungsinfrastruktur wird Zeit immer mehr zur Schlüsselressource. Eltern brauchen und wollen mehr Zeit für die Familie! Dazu habe ich zu Jahresbeginn eine Debatte angestoßen. Die Debatte um eine Familienarbeitszeit.

Mit der Familienarbeitszeit habe ich klar gemacht, wie ich mir eine familienfreundliche Arbeitswelt vorstelle: Wenn beide Eltern ihre Arbeitsstunden eine Zeit lang etwas reduzieren können, bleibt für beide genug Zeit für die Familie, und niemand muss seine beruflichen Ziele gefährden. Die Familienarbeitszeit ist ein Bestandteil meiner Vision von einer neuen Familienpolitik, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern soll, Familien mehr Flexibilität gibt und die Partnerschaftlichkeit innerhalb der Familie fördert.

Und ich gehöre nicht zu den Sozialdemokraten, die mit Visionen zum Arzt gehen, sondern die damit notwendige Debatten anstoßen.

Den ersten Schritt auf dem Weg zu einer Familienarbeitszeit bin ich mit dem ElterngeldPlus auch bereits gegangen. Mir ist vor allem wichtig, dass Eltern schon in der frühen Familienphase die Möglichkeit haben, in eine partnerschaftliche Aufteilung hineinzufinden.

Das Elterngeld hat gezeigt, dass gesellschaftliche Veränderungen möglich sind. Knapp 30 Prozent der Väter nehmen das Elterngeld in Anspruch. Wer hätte das bei der Einführung gedacht?

Und auch die Unternehmen haben sich darauf eingestellt, dass junge Väter für einige Zeit ihren Schreibtisch gegen den Kinderspielplatz eintauschen. Diesen positiven Trend will ich stärken.

Und ich freue mich, dass ich Sie, lieber Herr Dr. Schweitzer, an meiner Seite weiß!

Bislang wird das Elterngeld nur in den ersten 14 Monaten nach der Geburt des Kindes gezahlt. Wenn Mütter oder Väter heute schon früher in der Elternzeit Teilzeit in den Job einsteigen, haben sie einen Nachteil, denn sie verlieren mit der Rückkehr ins Berufsleben einen Teil ihres Elterngeldanspruchs. Mit dem ElterngeldPlus wird sich das ändern.

Das ElterngeldPlus wird flexibler für all diejenigen Eltern zur Verfügung stehen, die während des Elterngeldbezugs in Teilzeit arbeiten wollen.

Wer Teilzeit in Elternzeit arbeitet, bekommt doppelt so lange Elterngeld in halber Höhe und kann den gesamten Anspruch, der ihm zusteht, ausschöpfen. Dadurch gewinnt man Zeit für die Familie.

Wenn sowohl Vater als auch Mutter Teilzeit 25 bis 30 Wochenstunden arbeiten und sich gemeinsam um das Kind kümmern, soll es darüber hinaus noch einen Partnerschaftsbonus geben. Wer sich gemeinsam um das Kind kümmert, wird länger gefördert!

Das ElterngeldPlus ermöglicht eine fairere Aufteilung zwischen den Partnern, die es leichter haben, sich in der neuen Lebensphase mit Kind hineinzufinden. Es verschafft den Kindern zwei Bezugspersonen in früher Entwicklungszeit. Der Anschluss an die Arbeitswelt - gerade für Frauen! - geht nicht verloren.

Und auch die Wirtschaft profitiert: Neben motivierten und familienorientierteren Vätern dürfen Sie damit rechnen, dass Sie Mütter als qualifizierte Fachkräfte zukünftig schneller zurückgewinnen - weitgehend auf dem aktuellen Stand der Anforderungen des Arbeitsplatzes.

VI.

Ein weiterer Punkt, den meine Kollegin Andrea Nahles und ich angehen werden, ist der Anspruch auf eine befristete Teilzeit.

Mehr Partnerschaftlichkeit bei Beruf und Familie können wir nur erreichen, wenn der Schritt von der Vollzeit in die Teilzeit keine rechtliche Einbahnstraße bleibt.

Wir müssen Möglichkeiten schaffen, auf verschiedene Lebensphasen zu reagieren. Einmal eingeschlagene Wege dürfen nicht in Sackgassen führen, sondern es muss Wendemöglichkeiten geben.

Und die Instrumente für mehr Flexibilität müssen da ansetzen, wo Unternehmen flexibler werden können und nicht die Familien flexibler werden müssen.

VII.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Kind und Karriere - und zwar für beide Geschlechter! - wird zur entscheidenden Stellschraube zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen unter dem Eindruck des Fachkräftemangels im Zuge des demografischen Wandels. Die anstehenden großen Reformen der Arbeitswelt werden sich mit flexiblen Arbeitszeitmodellen befassen und die partnerschaftliche Verteilung von Arbeit zum Ziel haben müssen.

Und wir haben damit zusätzlich die Chance, Eltern neue Entscheidungsmöglichkeiten über die Gestaltung ihres Familienlebens zu geben - so wie sie es sich wünschen.

Ich will mit Ihnen diese Chance gemeinsam ergreifen. Denn an mehr Partnerschaftlichkeit führt kein Weg vorbei, davon bin ich überzeugt.

Lassen Sie uns gemeinsam nach neuen Wegen suchen und Modelle entwickeln, die Ihre Unternehmen attraktiv machen und ein modernes Familienleben zulassen.