Schwerin Bundesministerin Manuela Schwesig bei der Veranstaltung "Frauen in der Wirtschaft, Frauen in Verantwortung"

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Thon,
sehr geehrter Herr Eisenach,
sehr geehrte Damen und Herren,

I.

ich war überrascht und erfreut zugleich als ich Anfang März die Überschrift "Sehnsucht nach Frauen" im Finanz- und Börsenteil des Handelsblatts gelesen habe.

  • Ich war überrascht, weil ich dem Handelsblatt eine solch melodramatische Schlagzeile ohne weiteres gar nicht zugetraut hatte.
  • Ich war aber vor allem erfreut, weil das Thema - Frauen in der Wirtschaft und in Unternehmen - endlich stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt.

Der Artikel des Handelsblatts behandelt die Situation von Frauen in Führungspositionen deutscher Banken und Finanzinstitute. Letztlich hat er einen altbekannten Befund parat: Frauen sind in den Führungsgremien von Bankhäusern unterrepräsentiert.

Der Frauenanteil in den Vorständen der Top-100-Banken und Sparkassen lag Ende 2013 in der Tat bei nur sechs Prozent. Das ist sehr wenig, aber die Banken stehen damit nicht alleine da. In vielen Branchen und großen Konzernen sind nur wenige Frauen in Führungspositionen. Wenn wir uns die 200 größten Unternehmen in Deutschland anschauen, dann sind von weit über 2.000 Aufsichtsratsmitgliedern nur 325 weiblich, und neben etwa 870 Männern sitzen gerade mal 40 Frauen in den Vorständen. Gäbe es nicht die Arbeitnehmervertreterinnen in den Aufsichtsräten, sähe das sogar noch viel schlechter aus.

Ich glaube, dass dieser Zustand für ein Land, in dem Männer und Frauen gleichberechtigt sind, nicht tragbar ist. Und zudem ist er ökonomisch gefährlich:

  • Wir haben es mit einer massiven Ungerechtigkeit gegenüber Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu tun und
  • verschenken gleichzeitig Potenziale im demografischen Wandel.

Ich habe mir auf die Fahnen geschrieben, dass ich an dieser Situation gemeinsam mit der Wirtschaft etwas ändern will, weil wir uns die Benachteiligung von Frauen volkswirtschaftlich nicht mehr leisten können.

Und deshalb freue ich ganz besonders in meiner Wahlheimat Schwerin mit Ihnen ins Gespräch darüber zu kommen, wie wir mehr Frauen in die Wirtschaft und mehr Frauen in Verantwortung bekommen können.

Herzlichen Dank für die Einladung!

II.

Die "Sehnsucht nach Frauen" des Handelsblatts kann ich verstehen. Deutsche Unternehmen brauchen mehr Frauen auf allen Ebenen. Die Zukunft der deutschen Wirtschaft ist in jedem Fall weiblicher als die Vergangenheit. Dafür gibt es viele und gute Argumente. Zum einen gibt es harte ökonomische Gründe, warum mehr Frauen den Unternehmen und der deutschen Wirtschaft insgesamt gut tun würden.

Als Land im demografischen Wandel sind wir auf alle klugen Köpfe angewiesen. Unternehmerinnen und Unternehmer sind zunehmend händeringend auf der Suche nach motivierten Fachkräften. Wegen fehlender Fachkräfte erleiden Unternehmen schon heute Umsatzeinbußen in Milliardenhöhe.

In Ihrem aktuellen Konjunkturbericht habe ich gelesen, dass sich auch viele Unternehmen in Schwerin große Sorgen über den Fachkräftemangel machen.

Dagegen müssen und können wir etwas tun: Bei Frauen liegt - technisch gesprochen - das größte und am schnellsten zu aktivierende Fachkräftepotenzial im Inland. Diese Potenzial müssen wir aktivieren und stärker nutzen. Wir brauchen mehr Frauen im Job und damit auf der Leiter zu den Führungsetagen. Wir können es uns als größte Volkswirtschaft Europas und moderne Gesellschaft schlichtweg nicht leisten, die am besten ausgebildete Generation von Frauen überhaupt zu Hause sitzen zu lassen!

Zudem sind Unternehmen, die eine bessere Mischung von Teams praktizieren, erfolgreicher. Frauen in Führungspositionen sind ein Garant für den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg. Das haben zahlreiche Studien längst bewiesen. Eine UN-Studie hat 2012 belegt, dass Unternehmen mit weiblichen Vorständen in OECD-Ländern 42 Prozent höhere Verkaufsgewinne erzielten. Und sogar auf interne Kennziffern, wie die Eigenkapitalrendite, haben Frauen in Führungspositionen eine positive Auswirkung.

Und trotzdem sind Frauen in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft unterrepräsentiert und trauen sich auch seltener den Sprung zur Unternehmerin zu. Nicht mal ein Drittel aller Unternehmen in Deutschland wird von Frauen gegründet. Bei innovativen Start-Ups sind es sogar noch weniger. Männer sind da wesentlich risikofreudiger. Sie brauchen gut 8 Monate von der Idee zur Gründung eines Unternehmens. Frauen brauchen 3 Monate länger und machen sich oft neben dem eigentlichen Job selbstständig.

Bei all diesen Zahlen ist es auch nicht verwunderlich, dass die Industrie- und Handelskammern noch immer recht männlich sind. Das ernsthafte Bemühen den Frauenanteil in der Vollversammlung und in den Führungspositionen innerhalb der IHK Schwerin zu erhöhen, finde ich bemerkenswert, aber der Weg ist angesichts der Gesamtlage eben nicht leicht.

III.

Ich glaube, wir können etwas tun. Ich glaube es gibt Möglichkeiten, mehr Frauen in die Wirtschaft, in Jobs und die Führungsfunktionen zu bekommen.

Dafür brauchen wir

  • Chancengerechtigkeit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt und
  • eine konsequente Politik für Familien und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Zu besseren Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt gehört vor allem die Beseitigung der Lohndiskriminierung. Frauen bekommen immer noch 22 % weniger als Männer, ihre Arbeit wird weniger geschätzt. Der deutsche Arbeitsmarkt wirkt damit auf Frauen nicht gerade einladend.

Ich will deshalb

  • Rollenbilder bei der Berufswahl von Frauen aufbrechen, damit sie auch in vermeintlich untypischen Frauenberufen in Zukunft besser vertreten sind.
  • Ein Entgeltgleichheitsgesetz, dass Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in einem Unternehmen sichtbar macht.
  • Ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, weil gerade Frauen oft in prekärer Teilzeitbeschäftigung hängen bleiben, wenn sie für die Familie eine Auszeit vom Job genommen haben.

Und zur Chancengerechtigkeit gehört für mich auch die gesetzliche Frauenquote für Führungspositionen. Alle freiwilligen Vereinbarungen der letzten Jahre haben nicht geholfen. Und deswegen ist es richtig, dass wir jetzt gesetzgeberisch handeln. Der Fahrstuhl muss in Zukunft auch für Frauen endlich bis in die oberste Etage fahren!

Zusammen mit Bundesjustizminister Heiko Maas habe ich deshalb im März Leitlinien für ein Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen vorgestellt.

Wir wollen drei Bereiche regeln:

  • eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen ab 2016
  • verbindliche Zielvorgaben für Aufsichtsräte, Vorstände und die obersten Management-Ebenen von mitbestimmungspflichtigen oder börsennotierten Unternehmen ab 2015;
  • gesetzliche Vorgaben für die Gleichstellung im öffentlichen Dienst auf Bundesebene sowie für bundeseigene Unternehmen im Bundesgleichstellungsgesetz.

Die Wirkung dieses Gesetzes wird sich nicht auf die oberen Führungsetagen beschränken. Denn ich bin fest davon überzeugt: Ein höherer Anteil von Frauen in Führungspositionen wird dazu führen, dass sich - wie bei einer Kettenreaktion - die Unternehmens- und Arbeitskultur verändern wird.

Ich freue mich, dass der Deutsche Führungskräfteverband die Frauenquote unterstützt und hoffe sehr, dass wir gemeinsam - Wirtschaft und Politik - in einen konstruktiven Dialog darüber treten können, wie wir die "gläsernen Decken" für Frauen endlich durchbrechen können.

IV.

Um mehr Frauen in Verantwortung zu bekommen, brauchen wir eine solche Politik für mehr Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Und wir brauchen eine Politik, die die Familien im Blick hat und sich um die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben kümmert.

Familien brauchen drei Dinge: Zeit, Geld und Infrastruktur.

Bei der Infrastruktur sind wir in den vergangenen Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung wird weitergehen und wir werden einen besonderen Blick auf die Qualität legen. Familien wollen ihre Kinder gut bereut sehen!

Geld ist für Familien wichtig, damit sie planen können und abgesichert sind. Die familienpolitischen Leistungen in Deutschland sind gut angelegtes Geld.

Und immer wichtiger wird die Ressource Zeit. Familien brauchen Zeit füreinander! Dazu habe ich zu Jahresbeginn eine Debatte angestoßen. Die Debatte um eine Familienarbeitszeit.

Mit der Familienarbeitszeit habe ich klar gemacht, wie ich mir eine familienfreundliche Arbeitswelt vorstelle: Wenn beide Eltern ihre Arbeitsstunden eine Zeit lang etwas reduzieren können, bleibt für beide genug Zeit für die Familie, und niemand muss seine beruflichen Ziele gefährden.

Dabei geht es nicht so sehr um die konkrete Ausgestaltung des Instruments, sondern um eine Debatte. Es geht um mehr Familienfreundlichkeit in der Arbeitswelt, die den Bedürfnissen der Menschen entspricht.

60% der Paare mit kleinen Kindern halten eine Partnerschaftlichkeit bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für das ideale Lebensmodell. Aber nur 14 Prozent der Eltern gelingt es, diese Wünsche umzusetzen.

Noch sieht es bei uns so aus: 91 Prozent der Väter sind erwerbstätig - fast alle in Vollzeit. Und nur 66 Prozent der Mütter sind berufstätig - und das im Schnitt mit 17 Stunden die Woche. Das ist, ehrlich gesagt, nicht sonderlich viel.

Dabei würden drei Viertel der Väter mit Kindern unter 18 Jahren gerne weniger arbeiten. Auf der anderen Seite würden Mütter gern ihre Arbeitszeit ausweiten.

Väter wollen nicht mehr nur für den Gute-Nach-Kuss zu Hause sein und immer mehr junge Frauen wollen nach einer Pause für die Familie schnell wieder auf eigenen beruflichen Beinen stehen. Diesen Wunsch müssen wir ermöglichen!

Den ersten Schritt auf dem Weg zu einer Familienarbeitszeit bin ich mit dem ElterngeldPLUS auch bereits gegangen. Bislang wird das Elterngeld nur in den ersten 14 Monaten nach der Geburt des Kindes gezahlt. Wenn Mütter oder Väter heute schon früher in der Elternzeit Teilzeit in den Job einsteigen, haben sie einen Nachteil, denn sie verlieren mit der Rückkehr ins Berufsleben einen Teil ihres Elterngeldanspruchs. Mit dem ElterngeldPlus wird sich das ändern.

Das ElterngeldPlus wird flexibler für all diejenigen Eltern zur Verfügung stehen, die während des Elterngeldbezugs in Teilzeit arbeiten wollen. Wer Teilzeit in Elternzeit arbeitet, bekommt doppelt so lange Elterngeld und kann den gesamten Anspruch, der ihm zusteht, ausschöpfen. Dadurch gewinnt man Zeit für die Familie.

Wenn sowohl Vater als auch Mutter Teilzeit 25 bis 30 Wochenstunden arbeiten und sich gemeinsam um das Kind kümmern, soll es darüber hinaus noch einen Partnerschaftsbonus geben. Wer sich gemeinsam um das Kind kümmert, wird länger gefördert!

Das ElterngeldPLUS ermöglicht eine fairere Aufteilung zwischen den Partnern, die es leichter haben, sich in der neuen Lebensphase mit Kind hineinzufinden. Und der Anschluss an die Arbeitswelt - gerade für Frauen! - geht nicht verloren.

Das ElterngeldPLUS trifft den Nerv genau bei jungen Menschen, die vor der Familiengründung stehen und ihren Job nicht hintenanstellen wollen. 70 Prozent der jungen Leute befürworten die neuen Optionen beim Elterngeld!

Und auch die Wirtschaft wird profitieren: Neben motivierten und familienorientierteren Vätern dürfen Sie damit rechnen, dass Sie Mütter als qualifizierte Fachkräfte zukünftig schneller zurückgewinnen.

Politik und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten, um Vätern und Müttern Partnerschaftlichkeit zu ermöglichen. In unserem Unternehmensprogramm "Erfolgsfaktor Familie" mit inzwischen über 5000 Unternehmen zeigen wir bereits, wie das aussieht und gelebt wird.

Herausragendes Beispiel aus Ihren Reihen ist die Schweriner IT-Firma Trebing und Himstedt, als Regionalbotschafterin für das Unternehmensnetzwerk "Erfolgsfaktor Familie" und als Unternehmen des Jahres 2008 in der Kategorie "Familienfreundlichkeit". Das ist der richtige Weg!

V.

Wenn Frauen wieder im Beruf sind und Zeit für Familie haben, dann gewinnen sie auch Freiraum für ehrenamtliches Engagement in Gremien wie der IHK. Wir brauchen Frauen, die neben Familie und der beruflichen Karriere auch noch Zeit und Kraft für Ehrenämter haben. Ich freue mich darüber, dass Sie dieses Thema intensiv debattieren.

Auch hier sind es nicht die Frauen alleine, die dies organisieren und gewährleisten können. Alle müssen mithelfen und Frauen motivieren mitzumachen. In einem ersten Schritt muss es Ziel sein, dass möglichst alle Unternehmerinnen des Kammerbezirks an der Vollversammlung teilnehmen, um Ihr Stimmrecht auszuüben. Unterstützend kann zum Beispiel der Wahltermin und die Vollversammlung beispielsweise auf einen Termin gelegt werden, den auch Eltern gut ermöglichen können.

Ich möchte Sie, die anwesenden Frauen, ganz explizit auffordern, dieses demokratische Prinzip unserer Wirtschaft mitzugestalten. Werden Sie Teil der öffentlichen Stimme der IHK zu Schwerin.

VI.

Ich glaube, dass wir all diese Maßnahmen und den Wandel der Arbeitswelt brauchen, damit wir den Herausforderungen an die deutsche Wirtschaft in Zukunft gewachsen sind.
Die Quote für Frauen in Führungspositionen zum Beispiel

  • hat Aussicht auf Erfolg wenn Frauen sich auch für bestimmte Berufsbilder entscheiden,
  • sie hat Aussicht auf Erfolg, wenn Frauen nach einer familienbedingten Auszeit vom Job besser verdienen als heute, wieder Vollzeit arbeiten können und damit nicht mehr in der Karrieresackgasse festhängen,
  • sie hat Aussicht auf Erfolg, wenn sich auch die Arbeitswelt dahingehend ändert, dass Männer mehr Erziehungsarbeit übernehmen können und Karriere auch mit Phase reduzierter Arbeitszeit möglich ist.
  • sie hat Aussicht auf Erfolg, wenn Familie durch eine bessere Vereinbarkeit, ausreichend finanziellen Mitteln und guter Infrastruktur unterstützt werden.

Fassen wir all diese Schritte als ein Gesamtpaket auf, dann ist die Quote das richtige Instrument, alle verbliebenen Gründe für weniger Frauen in den Chefetagen, zu beseitigen.

Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam - Wirtschaft und Politik - an einer familienfreundlichen und gerechten Arbeitswelt arbeiten könnten. Eine familienfreundliche und gerechte Arbeitswelt hilft den Familien. Sie tut unserer Gesellschaft insgesamt gut. Eine Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen, führt an vielen Stellen unserer Gesellschaft zu Modernisierung und Verbesserung. Dafür setzte ich mich ein und ich würde mich sehr freuen, wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen.