Berlin Bundesministerin Manuela Schwesig bei der MGH-Regionalkonferenz

Es gilt das gesprochene Wort

"Sehr geehrte Damen und Herren,

Sehr geehrter Herr Lübking,

Herzlich Willkommen bei der Auftaktveranstaltung zu den Regionalkonferenzen der Mehrgenerationenhäuser.

Ich bin gebürtige Brandenburgerin. Ich lebe seit vielen Jahren in Mecklenburg-Vorpommern und seit einem halben Jahr arbeite ich in Berlin.Deshalb freue ich mich sehr,dass wir die Regionalkonferenzen mit der Region beginnen, in der all diese wundervollen Länder liegen.Außerdem noch weitere schöne Länder wie Sachsen und Sachsen-Anhalt, denen ich übrigens ebenfalls familiär verbunden bin.

Ich könnte Ihnen jetzt natürlich vom MGH in Schwerin vorschwärmen, in dem zum Beispiel pensionierte Deutschlehrer älteren Migranten ehrenamtlich zu einem besseren Deutsch verhelfen.Aber sie können sich ja nachher selbst untereinander austauschen. Herr Schütt aus dem Schweriner Haus kann Ihnen später Näheres dazu erzählen.

Das ist schließlich ein Ziel der Regionalkonferenzen:

  • voneinander lernen,
  • auf interessante Ideen gebracht werden,
  • sich neuen Themen gemeinsam annähern.

Die Regionalkonferenzen zeigen, was die Mehrgenerationenhäuser so stark macht:Das Aktionsprogramm ist mehr wert als die Summe der einzelnen Teile.Es gibt 450 Mehrgenerationenhäuser. 16.000 Freiwillige engagieren sich in den Häusern.Und Sie alle machen dort hervorragende Arbeit, bewegen etwas für und mit den Menschen in Ihrer Kommune oder in Ihrem Landkreis.Der Austausch der Häuser untereinander wertet die MGH noch einmal auf.

Über das zu reden, was ein Haus leistet und darüber, wo es vielleicht noch klemmt -das bringt jedes MGH für sich voran.Damit gewinnt aber auch die Idee, die dem Programm zugrunde liegt:Orte zu schaffen, wo die Möglichkeiten der Helfenden auf den Bedarf von Hilfesuchenden treffen.Orte also, an denen Gemeinschaft entsteht.

Sie gestalten diese Orte und Sie stecken ihre Zeit und Ihre Arbeit und ganz oft auch viel zusätzliches freiwilliges Engagement da rein.Dafür danke ich Ihnen herzlichund heiße Sie noch einmal herzlich Willkommen zur Regionalkonferenz der Mehrgenerationenhäuser hier in Berlin.Weitere Regionalkonferenzen werden in Bamberg, Hamburg und Mannheim stattfinden.

Weil mich die Begegnungen in MGH immer so begeistern, möchte ich doch zwei Beispiele in die Diskussion einbringen - und zwar Beispiele, aus MGH, die nicht in Ihrer Region liegen.Im Mehrgenerationenhaus Pattensen bei Hannover hat mich beindruckt, wie Menschen mit Demenz ganz selbstverständlich in den Alltag des MGH integriert werden.Die Tagesbetreuung für demenziell erkrankte Menschen ist dort Teil des Offenen Treffs.Diese Integration wird durch Ehrenamtliche ermöglicht,die für die Aufgabe speziell geschult wurden. Eine tolle Sache.

Ein anders Beispiel aus Bremerhaven:In der Diskussion mit der Leiterin des MGH habe ich mich an meine Schulzeit und die Ferienangebote im Sommer erinnert.Gemeinsam mit ortsansässigen Unternehmen entwickelt das MGH Bremerhaven für die Sommerferien spannende Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche.Das ist wichtig, weil die Eltern die ganzen Ferien kaum mit Urlaub überbrücken können. Für manche Kinder sind die Angebote auch ein willkommener Ausgleich für die Urlaubsreise, die sich die Eltern nicht leisten konnten.

Ein auf den ersten Blick einfaches Angebotmit großer Wirkung auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die soziale Integration.Die beiden Beispiele zeigen,dass die Mehrgenerationenhäuser Antworten bieten auf ganz konkrete Fragen.

  • Wo kann mein Kind die Ferien verbringen?
  • Wer unterstützt mich bei der Betreuung meiner Mutter?
  • Wer berät mich in Fragen der Pflegeversicherung?

Mehrgenerationenhäuser liefern aber ganz nebenbei auch eine Antwort auf große gesellschaftliche Fragen:

  • Wie wollen wir heute und in Zukunft leben?
  • Wie wollen wir miteinander leben, wenn wir älter, weniger und unterschiedlicher werden?

Nicht nur der demografische Wandel wirft die Frage nach dem Zusammenhalt von Alt und Jung auf. Statt eines Miteinanders der Generationen erleben wir oft ein beziehungsloses Nebeneinander. Wir sehen veränderte Familienstrukturen, und eine zunehmende Zahl von Alleinlebenden.Wir müssen das Miteinander der Generationen nicht nur innerhalb von Familie neu denken, sondern auch darüber hinaus.Wir brauchen ein Bewusstsein gemeinsamer Verantwortung und die Bereitschaft zu gegenseitiger Hilfe.Und das entsteht am ehesten im überschaubaren Raum der Nachbarschaft.

Wer an einer Stelle Hilfe braucht, kann vielleicht an anderer Stelle selbst etwas in die Gemeinschaft einbringen. Mehrgenerationenhäuser organisieren ein Geben und Nehmen, einen Austausch von Zeit, Wissen und Hilfe. Die MGH sind Orte der Solidarität.Unter ihrem Dach versammeln sich zudem die Institutionen, die sich vor Ort um das Zusammenleben kümmern.Ich habe gelernt, dass das durchschnittliche MGH unglaubliche 73 Kooperationspartner hat!Eine Zahl, auf die Sie stolz sein können, und die auch für neue Impulse in der Sozialraumgestaltung steht.

Ob Kommune, privates Unternehmen, gemeinnützige Einrichtung oder zivilgesellschaftliche Initiative: Vernetzung und Zusammenarbeit hilft, die Angebote im sozialen Bereich übersichtlicher zu gestalten, besser zu koordinieren und damit effizienter zu machen.

Die MGH sind also eine zentrale Infrastruktur, die viel leistet und sich dabei am Bedarf orientiert:

  • Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Beruf
  • Nachhilfe für die Kinder
  • Unterstützung bei der Integration
  • oder Beratung und Rückhalt für pflegende Angehörige.

Ein segensreiches und von nahezu allen gelobtes Konstrukt.Eine unromantische Frage bleibt uns aber nicht erspart: Was kostet das und wer bezahlt es?Bisher teilen sich der Bund und die Kommunen die Finanzierung - 40.000 pro Jahr und Haus, 10.000 davon kommen von der Kommune.Ein Teil der Bundesgelder stammt aus dem Europäischen Sozialfonds.

Das Aktionsprogramm des Bundes läuft zum Ende des Jahres aus.Ich kann hier noch nichts versprechen, aber ich kann sagen:Eine Fortführung der Beteiligung des Bundes ist gewollt und auch erst einmal unerlässlich.Mir liegt der Fortbestand der MGH am Herzen.Die Haushaltsverhandlungen für 2015 laufen noch.In zweieinhalb Wochen soll unser Einzelplan ins Kabinett.Bis dahin werde ich für die MGH kämpfen. Wir brauchen die MGH in den Kommunen, deshalb brauchen wir das Geld dafür auch im Haushalt 2015!

Doch was ich möchte,ist nicht nur das Geld im Haushalt für das nächste Jahr.Ich möchte eine langfristige Lösung.Im Koalitionsvertrag steht: 'Das erfolgreiche Konzept der Mehrgenerationenhäuser wollen wir weiterentwickeln und deren Finanzierung verstetigen.'

Mein Ziel ist, starke Strukturen nachhaltig zu sichern. Und die MGH sind eine starke Struktur für den Zusammenhalt der Gesellschaft.Deshalb muss Schluss sein mit der Abfolge von Modellprojekten und Aktionsprogrammen.Das ist eine Frage von Verlässlichkeit und Vertrauen.Die Freiwilligen selbst bestimmen über ihr Engagement.Der Staat muss ihr Partner sein.Und unter Partnern muss man sich vertrauen können.Dieses gegenseitige Vertrauen zwischen Staat und engagierten Bürgerinnen und Bürgern ist mir sehr wichtig.Und dazu gehört für mich auch, Strukturen nachhaltig zu stärken.

Ich gehe davon aus, dass wir das laufende Aktionsprogramm noch eine Zeit lang fortführen können - aber nur mit dem Ziel, gemeinsam einen Weg zu finden, der Idee der MGH zur Nachhaltigkeit zu verhelfen.

Ausgewählte Kommunen und die jeweiligen MGH vor Ort haben sich gemeinsam mit der wissenschaftlichen Begleitung dieser Frage mit einer "monetären Wirkungsanalyse" genähert.Wir alle hier im Saal würden aus dem Bauch heraus sagen,dass Kommune durch die vielfältigen Angebote ihres MGH Kosten einsparen können.Aber niemand könnte es so richtig belegen oder gar vorrechnen.

Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass man den Kämmerer oder die Bürgermeisterinam besten mit konkreten Zahlen überzeugen kann.Um zu diesen Zahlen zu kommen, haben wir einen Prozess gestartet.Ein Prozess der darstellt, wie MGH wirken und welche Potenziale für die Kommunen und Landkreise in den Häusern stecken.Die vorläufige Antwort dieser Wirkungsanalyse lautet,so wie es der Tagungstitel schon verrät:Geteilte Verantwortung bringt gemeinsamen Nutzen.

Ich möchte zwei Beispiele anschneiden:Einige Kommunen berichten uns, dass die Unterstützung junger Menschen im MGH Schulabbrüche zu verhindern hilft.Das ist gut für die Jugendlichen und freut uns als Kinder- und Jugendpolitiker sehr.Wir müssen uns aber auch trauen, auf die nicht entstandenen Sozialausgaben hinzuweisen.

Es ist nicht leicht einen stockenden Zug anzuschieben, aber es ist deutlich schwieriger und kostet auch deutlich mehr, wenn er erstmal aus den Gleisen gesprungen ist.Und diese Mehrkosten verhindert das MGH.

Zweitens sagen andere Kommunen, dass ältere Menschen durch die Angebote eines MGH zur Unterstützung häuslicher Pflege länger in ihrem gewohnten Umfeld verbleiben können.Das ist klar ein großer Gewinn für die Pflegebedürftigen und eine große Hilfe für die Angehörigen.Das bedeutet aber auch, dass eine stationäre Heimeinweisung entsprechend verzögert oder im Einzelfall sogar vermieden werden kann.Hier wird Geld gespart, auch wenn es nicht in erster Linie darum geht, zu sparen, sondern ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.

Die MGH wirken also. Die Hilfe kommt bei den Menschen an, und die Kommunen sparen.Aber was passiert also Ende des Jahres mit den MGH?Wir brauchen 16 Millionen Euro pro Jahr - das ist im Etat des Bundesfamilienministeriums viel Geld.Ich denke aber, das bekommen wir hin.Wir müssen sehen, wie wir die geteilte Verantwortung konkret neu aufteilen und wir müssen sehen, wie sich der Nutzen der MGH aufteilt.Die Wirkungsanalyse wird uns dabei helfen.Frau Dr. Staats und Frau Reinecke werden uns die Ergebnisse gleich vorstellen und ich bin sehr gespannt, wie sich der Mehrwert der Mehrgenerationenhäuser darstellen lässt.

Wir alle,

  • die Parteien,
  • alle föderalen Ebenen,
  • die Abgeordneten aus jedem Wahlkreis
  • und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort

wir alle wollen diesen Mehrwert nutzen und das darf nicht an 16 Millionen scheitern.

Ich setze mich auch deshalb sehr für die Mehrgenerationenhäuser ein, weil sie ganz konkret machen, was mir politisch sehr wichtig ist.Politische Schwerpunkte sind erst einmal übergeordnete Ziele.Ich möchte aber, dass die Menschen sie auf sich beziehen, meine Politik verstehen.

Dazu möchte ich zeigen, wie ich die Umsetzung der Ziele aussehen kann - was die Menschen davon haben. Die MGH sind dafür gute Beispiele.Was sind das für politische Schwerpunkte,und was tragen die MGH dazu bei?

Es sind fünf kurze grundsätzliche Punkte: Das erste Kriterium für eine gute Gesellschaft ist für mich Gerechtigkeit. Gerechtigkeit heißt, dass Freiheiten auch in gleichen Lebenschancen münden. Gesellschaftspolitik muss also dafür sorgen, dass die Menschen nicht nur der Form nach, sondern auch tatsächlich in der Lage sind, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Ihnen fallen jetzt sicher sofort Angebote aus Ihrem MGH ein, die Menschen dabei unterstützen, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Der Gedanke der Gerechtigkeit ist zweitens eng verbunden mit Chancengleichheit und Gleichstellung. Ich will hier nicht über die geplante Frauenquote reden, oder über ein Entgeltgleichheitsgesetz. Ich glaube aber, dass die Mehrgenerationenhäuser viel zur Gleichstellung beitragen können. Und ich denke übrigens auch, dass die MGH an Bedeutung gewinnen können, wenn sie sich noch stärker dem Ziel der Gleichstellung verschreiben.

In einer guten Gesellschaft hat drittens jedes Kind hat ein Recht auf gutes Aufwachsen. Deshalb müssen wir weiter an der Qualität der Kindertagesbetreuung arbeiten, aber auch die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, den Schutz vor Gewalt und die Teilhabemöglichkeiten von Kindern- und Jugendlichen verbessern.

Auch das machen viele MGH. Ich denke, hier kann es einen fruchtbaren Austausch geben. Viertens geht es mir darum, mit der Stärkung von Partnerschaftlichkeit in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine neue Qualität zu erreichen. Ich habe dazu eine Diskussion über die Familienarbeitszeit begonnen. Es geht aber auch um die konkreten Dinge vor Ort. Die Mehrgenerationenhäuser sind hervorragend vernetzt – und ähnlich wie die Lokalen Bündnisse für Familien können sie viel dazu beitragen, dass eine partnerschaftliche Arbeitsteilung in Beruf und Familie gelingen kann.

Zur Vereinbarkeit gehört fünftens auch die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Dieser Punkt ist schon lange ein Schwerpunkt vieler MGH – ich habe ja schon einige Beispiele genannt. Ihr Beitrag dazu, pflegende Angehörige zu entlasten und zu beraten ist großartig.

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dort wo es passt, die Einbeziehung von Pflegestützpunkten in die MGH zu fördern. Hier gibt es viele Möglichkeiten, diesen Arbeitsschwerpunkt vieler Häuser weiter zu stärken.

Ich denke, daraus wird deutlich, wie ich die Leistung und die Potenziale der Mehrgenerationenhäuser sehe.Ich verspreche Ihnen, dass ich alles dafür tun werden, die MGH zu erhalten und zu stärken.Der politische Wille ist da und die Entschlossenheit auch.

Ich sehe auch bei den anderen Beteiligten den politischen Willen für die MGH. Nun muss ich nur noch dafür sorgen, dass meine Entschlossenheit auch in einem Entschluss des Bundestages mündet.

Ich bin Ihnen für jede Unterstützung dankbar.