Berlin Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig zum Auftakt der Woche des Bürgerschaftlichen Engagements 2015

Manuela Schwesig spricht bei der Eröffnung zur 11. Aktionswoche des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement
Manuela Schwesig spricht bei der Eröffnung zur 11. Aktionswoche des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement© Bildnachweis: BMFSFJ

Es gilt das gesprochene Wort.

Lieber Thomas Olk, lieber AnsgarKlein,sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrte Damen und Herren,herzlich willkommen bei der Auftaktveranstaltung der 11. Woche des bürgerschaftlichen Engagements!

I.

Wenn ich mit Engagierten spreche, sagen sie mir oft: Ich mache das gerne. Aber es wäre schön, wenn das, was man tut, mehr anerkannt werden würde. Thomas Olk hat mal gesagt: "Engagement anerkennen bedeutet, es öffentlich sichtbar zu machen." Und wo kann man besser sichtbar machen als hier: im politischen Zentrum unseres Landes, "Unter den Linden". Deshalb freue mich, Sie heute hier im Regierungsviertel begrüßen zu dürfen. Im Herzen von Berlin, wo diese Veranstaltung hingehört. Vielen Dank an VW für diese tolle Atmosphäre hier!

Engagement sichtbarmachen. Dieses Ziel verfolgt das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement. Besonders mit der Aktionswoche. Mit dieser Woche wird die Arbeit von mehr als 23 Millionen Freiwilligen gewürdigt. Veranstaltungen und Aktionen im gesamten Bundesgebiet zeigen das breite Spektrum von Engagement.

In den letzten Monaten hat das BBE jede Woche ein Projekt vorgestellt. Jedes einzelne der 23 Projekte zeigt: Engagement macht stark. Nicht nur diejenigen, für die etwas getan wird. Es bereichert auch die, die sich einsetzen. Wer sich einsetzt, lernt etwas über und von anderen Menschen: von Gleichaltrigen, Älteren oder Kindern und Jugendlichen, von Menschen mit Beeinträchtigung oder von jemandem, der einen anderen sozialen oder kulturellen Hintergrund hat. Oder von jemandem, der sich gut mit der Natur auskennt, mit Politik, mit Kunst und Kultur oder Sport.

Menschen, die sich einsetzen, lassen sich ein und stehen für etwas ein. Und trauen sich, ein Stück weit die Perspektive wechseln. Dafür bekommen sie neue Einblicke geschenkt. Ihr Engagement macht unsere Gesellschaft besser. Im Kleinen und im Großen. Ich danke Ihnen allen herzlich für Ihren Einsatz!

II.

Eine Gesellschaft, in der sich Menschen für andere einsetzen,

ist eine Gesellschaft, in der ich gerne lebe. Als Bundes-Engagement-Ministerin ist es mir wichtig, die Strukturen weiterzuentwickeln und zu verstetigen, die bürgerschaftliches Engagement möglich und leichter machen. Zu diesen Strukturen gehört auf Bundesebene die Woche des bürgerschaftlichen Engagements und natürlich das Bundesnetzwerk.

Auf lokaler Ebene hat mein Ministerium mit fünf Stiftungen und einem Unternehmendas Netzwerkprogramm "Engagierte Stadt" ins Leben gerufen. In 50 "Engagierten Städten" wird das Zusammenwachsen und -wirken von Zivilgesellschaft, Kommunalpolitik und lokaler Wirtschaft unterstützt. Hier überlegen zum Beispiel die Freiwilligenagenturen und die Jugendfeuerwehr gemeinsam mit der Bürgermeisterin und verantwortungsbewusste Unternehmern, wie man dauerhaft für eine lebendige Kleinstadt sorgen kann.

Nicht bestimmte Projekte, Themen oder Organisationsformen stehen im Fokus. Gefördert werden stattdessen lokale Kooperationen. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Engagementförderung. Die Menschen vor Ort wissen am besten, wo der Schuh drückt und was sie gemeinsam auf die Beine stellen wollen. Gemeinsam können sie eine Engagementstrategie aus einem Guss entwickeln.

Eine andere bewährte Struktur zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf lokaler Ebene sind die Mehrgenerationenhäuser. Ich freue mich sehr, dass Bund und Länder dieses Erfolgsmodell langfristig gemeinsam unterstützen werden und so die Zukunft der Mehrgenerationenhäuser gesichert ist. Bürgerschaftliches Engagement braucht verlässliche Rahmenbedingungen, um sich weiterentwickeln zu können und sichtbar zu sein.

III.

Sich ehrenamtlich zu engagieren, für Notleidende Geld zu spenden und spontan anzupacken, wenn es nötig ist, ist für Millionen Menschen in Deutschland normal. Das ist wichtig zu wissen, wenn wir in diesen Tagen die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge sehen. Diese Hilfsbereitschaft ist großartig. Endlich einmal wird Engagement so richtig sichtbar. In jeder Nachrichtensendung, in jeder Zeitung.

Diese spontane Hilfsbereitschaft in einer Notsituation baut aber auf auf dem, was Millionen Menschen Tag für Tag im Ehrenamt leisten. Die lebendige Zivilgesellschaft, die wir in Deutschland zum Glück haben, bewährt sich. Unser Land kann die Herausforderung, die die vielen Flüchtlinge bedeuten, nicht zuletzt deshalb bewältigen, weil die Bürgerinnen und Bürger so engagiert mitmachen.

Die Politik muss denjenigen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und Schutz suchen, Schutz geben. Durch eine schnellere Bearbeitung von Asylanträgen, durch Wohnraum und die Integration in die Schule, den Arbeitsmarkt, die Gesellschaft. Eine Willkommenskultur kann der Staat aber nicht alleine entwickeln. Dafür braucht es eine starke Zivilgesellschaft.

IV.

Ich möchte die Menschen unterstützen, die sich für Flüchtlinge einsetzen – und damit für Demokratie und Menschenwürde. Drei konkrete Vorhaben möchte ich Ihnen dazu vorstellen:

  • Das Bundesprogramm "Willkommen bei Freunden"
  • Die "Aktion Zusammenspiel"
  • Das Bundesprogramm "Demokratie leben"

Das Bundesprogramm "Willkommen bei Freunden" läuft gerade an. Es stehen 12 Millionen Euro über drei Jahre für Kommunen und Bürgerinitiativen zur Verfügung, die vor Ort eine Willkommenskultur schaffen wollen. Sechs regionale Servicebüros unterstützen haupt- und ehrenamtlich engagierte Menschen dabei, ihre Hilfe für geflüchtete Kinder und Jugendliche gut auf die Beine zu stellen. Mit Beratungs-, Qualifizierungs- und Vernetzungsangeboten.

Die Servicebüros sammeln auch gute Beispiele, die zum Nachahmen einladen. Eine Idee, die sie gefunden haben, ist die Initiative "WillkommensKITAs" aus Sachsen. Kitas, die Kinder aus Flüchtlingsfamilien aufnehmen, stehen vor vielen Fragen:

  • Wie überwinde ich Sprachbarrieren?
  • Welche Auswirkungen hat das Asylrecht auf den Alltag der Familien?
  • Wie gehe ich mit traumatisierten Kindern um?

Pädagoginnen und Pädagogen bauen ein lokales Unterstützungsnetzwerk mit externen Partnern auf, um Antworten auf diese Fragen zu finden.

Ein weiteres Beispiel, wie Bildung und Integration verbunden werden können, ist der "Kinderkulturpass" aus Bielefeld. Kinder sind gemeinsam mit ihren Eltern eingeladen, an einer Entdeckungsreise durch die Stadt teilzunehmen: Es geht in Museen, die Stadtbibliothek oder den örtlichen Tierpark.

"Ich wusste nicht, dass ich hier herein darf. Ich dachte, das ist nur für die anderen", sagte eine Mutter während des Besuchs der Kunsthalle. Das macht deutlich: Integration ist nicht einfach nur ein Wort, Integration ist Handeln.

Das dritte Beispiel zeigt, wie Flüchtlingsarbeit über den Sport funktionieren kann: "Champions ohne Grenzen" heißt ein Fußball-Projekt aus Berlin. Hier wird nicht nur wöchentlich trainiert, sondern es gibt auch kulturelle Freizeitangebote, gemeinsames Kochen sowie Unterstützung bei Behördengängen. Die Idee hat schon Nachahmer gefunden unter anderem in Leipzig, Frankfurt oder Stuttgart.

Um wirklich in einem anderen Land anzukommen, braucht es einiges: Zeit, einen Kita-, Schul- oder Arbeitsplatz, eine Aufgabe. Und es braucht Freunde. Damit aus Flüchtlingen Freunde werden können, müssen sie sich willkommen fühlen. Die drei Beispiele zeigen, wie bürgerschaftliches Engagement dazu beitragen kann. Dieses Engagement will "Willkommen bei Freunden" unterstützen.

V.

Gemeinsame Erfahrungen verbinden. Aber es ist nicht immer so einfach, gemeinsam Erfahrungen zu machen. Manchmal fehlt die Zeit, manchmal verspürt man Unsicherheit, auf jemanden zuzugehen, manchmal fehlt auch einfach der Anlass, die erste Gelegenheit. Deshalb habe ich zu der "Aktion Zusammenspiel – Bündnisse für junge Flüchtlinge" aufgerufen.

In der Woche des Bürgerschaftlichen Engagements machen über 200 Partnerinnen und Partner ein "zusammen Spielen" überall in Deutschland möglich – in Kommunen, in kleinen und großen bürgerschaftlichen Initiativen und in vielen Engagement-Organisationen.

Im Mittelpunkt steht die Begegnung zwischen Flüchtlingskindern und einheimischen Kindern. Flüchtlingskinder haben oft wenige Möglichkeiten, einfach zu spielen, Kind zu sein. Und sie haben kaum Kontakte zu Kindern, die schon immer oder länger in Deutschland leben. Beim Fußball- oder Tischtennisturnier, einem kleinen Kinderfest, beim gemeinsamen essen oder Musik machen, kommen die Kinder zusammen.

Vielleicht ergibt sich daraus ein regelmäßiges Treffen der Kinder, vielleicht ein längerfristiges ehrenamtliches Engagement der Eltern oder teilnehmenden Jugendlichen. Auf jeden Fall wagt man aber ein Blick über den eigenen Tellerrand – und das ist schon viel wert.

VI.

Die Frage, wie wir unsere Zivilgesellschaft lebendig erhalten – gerade im Kampf gegen demokratiefeindliche und menschenverachtende Tendenzen – stellt sich aber nicht erst, seitdem immer mehr Menschen bei uns Zuflucht suchen.Die Bekämpfung von Rechtsextremismus liegt mir am Herzen, seit ich politisch tätig bin.

In meiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern habe ich erlebt, was es bedeutet, wenn Rechtsextreme ganze Dörfer tyrannisieren und im Landtag gegen Flüchtlinge hetzen. Das hat mich sensibilisiert für alle Formen der Ausgrenzung, Abwertung und Verfolgung.

Mit dem Bundesprogramm "Demokratie leben!" unterstützen wir ziviles Engagement zur Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention. Wir fördern Taten - und wir fördern Strukturen. Taten, wie beispielsweise die von Tavir e.V., einem Ravensburger Verein. Der Verein hat im Rahmen von "Demokratie leben" ein Willkommenspaket für Flüchtlinge entwickelt, die gerade nach Deutschland gekommen sind.

In dem Paket gibt es zum Beispiel Willkommenskärtchen, die Gespräche im Alltag anregen und zur kulturellen Verständigung beitragen sollen. Oft geht es um ganz konkrete Dinge: die Mülltrennung, den Arztbesuch, Lebensmittel, Haustiere oder Verkehrsregeln.

Es geht aber zum Beispiel auch darum, dass Männer und Frauen in Deutschland dieselben Rechte haben. Tatkräftig war auch die Schülerorganisation Kaufbeuren. Sie haben im Rahmen von "Demokratie leben" eine Anti-Rassismus-Ausstellung auf die Beine gestellt. Diese befasst sich mit den Opfern von Rassismus in Deutschland.

Taten fallen leichter, wenn es Strukturen dafür gibt. Deshalb fördern wir Strukturen. Mit den Partnerschaften für Demokratie, mit den Landesdemokratiezentren, mit den vielen engagierten Trägern und den Modellprojekten. Mit ihnen gemeinsam wollen wir ein lebendiges und dichtes Netzwerk schaffen, das zur Prävention vor Radikalisierung beiträgt.

Die fünfjährige Laufzeit des Programms soll vor allem dazu beitragen, in den Regelstrukturen anzukommen. Alle, die sich für unsere Zivilgesellschaft einsetzen, wissen: Man braucht Zeit, Kontinuität, Vertrauen.

VII.

Die große Anzahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, ist eine Ausnahmesituation für unser Land. In solchen Situationen zeigt sich in besonderer Weise, wie wichtig eine lebendige Zivilgesellschaft ist. Wir haben in Deutschland eine lange Tradition von bürgerschaftlichem Engagement.

40 Prozent der Deutschen sind ehrenamtlich engagiert, sagt die aktuelle Zeitverwendungsstudie. Die Hälfte der Engagierten bringt sechs und mehr Stunden pro Monat dafür ein. Wir haben gute und tragfähige Strukturen. Es gibt eine gelebte Anerkennungskultur für Engagement in unserem Land. Das ist die Grundlage dafür, dass die Menschen auch auf die neue Situation schnell und mit Hilfsbereitschaft reagieren konnten.

Ich zitiere zum Schluss nochmal Thomas Olk: "Eine lebendige Demokratie ist nur als ‚Mitmachveranstaltung‘ sinnvoll." Wie Recht er damit hat, sehen wir in diesen Tagen.