Namensartikel von Dr. Franziska Giffey Sicherheit ist Anfang und Ziel von Integration

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Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey© Thomas Imo/photothek.net

Deutschland diskutiert über Integration. Kontrovers und emotional. Es geht um die Verteilung von Ressourcen, um Respekt und Anerkennung, um Identität, Werte und Solidarität - und immer um Sicherheit. Wer über Integration reden will, muss über Sicherheit reden - und fängt am besten damit an, was in Deutschland los ist. Eine Lehrerin aus Niedersachsen erzählt mir von einem Jungen in ihrer vierten Klasse, Spross einer Großfamilie, verhaltensauffällig, aggressiv, der einem Mädchen die Faust ins Gesicht schlägt. Der Vater gibt der Lehrerin aus religiösen Gründen nicht die Hand, sondern fordert sie auf, den Jungen in den Griff zu bekommen. Die dritte Klassenkonferenz findet im Beisein der Polizei statt. Es ist ein kleiner Ort, die Familie ist stadtbekannt.

Was tun, wenn der Wunsch nach einer vielfältigen und toleranten Gesellschaft nicht mit der Wirklichkeit von Parallelgesellschaften und sozialen Verwerfungen zusammenpasst? Wenn kriminelle Machenschaften in einem Stadtteil überhand nehmen? Wenn bestimmte Gruppen meinen, ihre Ehre sei Grund genug, das Recht selbst in die Hand zu nehmen? Wenn Menschen Vielfalt grundsätzlich befürworten, aber konkret vor ihrer Haustür ablehnen? Wenn Jugendliche den deutschen Pass haben, aber stolz die Zugehörigkeit zur Nation ihrer zugewanderten Eltern bekunden? Integration und Nicht-Integration haben viele Gesichter. Wenn eine Gruppe von Migranten nur unter sich lebt und die deutsche Sprache nicht lernt, dann sind diese Menschen nicht integriert. Wenn reiche Familien sich hinter ihren Zaun zurückziehen und einen Wachschutz beauftragen, dann leben sie in einer Parallelgesellschaft. Wenn Akademiker ihren sozialen Beitrag nur auf Fachdiskussionen beschränken, dann verabschieden sie sich aus der Gesellschaft. Wenn ganze Familien sich in der Grundsicherung eingerichtet haben und jede Hoffnung aufgeben, dass sich ihre Lage ändern könnte, dann ist das ein Integrationsversagen. Wenn ein Steuerhinterzieher sich der gemeinsamen Finanzierung unseres Staates verweigert, dann verweigert er sich der Integration. Wenn ein Teil des Landes sich abgehängt und alleingelassen fühlt, dann ist auch das Ausweis gescheiterter Integration.

Auf den guten Willen zu setzen, hilft manchmal, aber nicht immer. Integration verlangt die ausgestreckte Hand, die bei Bedarf aber auch zum Stoppsignal werden muss. Das gleiche Recht gilt für alle. Die gleichen Regeln gelten für alle. Und sie müssen eingehalten werden. Integration beginnt mit der Pflicht des Staates, für Recht und Ordnung zu sorgen. Wer die Regeln bricht, muss die Konsequenzen spüren. Eltern haben nicht das Recht, ihren Kindern Chancen vorzuenthalten, indem sie sie nicht ausreichend fördern. Für Gewalt gegen Frauen gibt es keine Ausreden. Die Wohlhabenden in der Gesellschaft haben nicht das Recht, sich aus ihrer Verantwortung zurückzuziehen. Die Politik hat die Aufgabe, den Rahmen für erfolgreiche Integration zu setzen, Institutionen zu stärken und soziale Angebote zu schaffen.

Auch der Sozialstaat ist notwendig für Integration. Sicherheit ist nicht zuletzt das Gefühl, es in dieser Gesellschaft schaffen zu können. Wer vorankommt, fühlt sich integriert. Wer Angst hat, zurückzufallen, wendet sich ab. Unabhängig von Migration haben einige Kinder heute weniger Chancen als andere. Wer arme Eltern hat, wird oft selbst arm. Kinder aus bildungsfernen Familien erfahren oft weniger Förderung. Damit es jedes Kind packt, muss die Chance auf Bildungserfolg abgekoppelt werden von der Herkunft und den privaten Möglichkeiten der Eltern. Investitionen in Bildung, in gute Kitas oder Ganztagsschulen und Geldleistungen des Staates, die Familien stärken, sind Investitionen in Integration, soziale Sicherheit und den langfristigen Wohlstand unseres Landes. Aber für Respekt und gutes zwischenmenschliches Miteinander ist jede und jeder Einzelne auch selbst verantwortlich. Wer teilhaben will, muss bereit sein, den eigenen Teil zu geben. Wer Respekt einfordert, muss andere und Andersdenkende respektieren. Jeder kann für andere da sein, die Unterstützung brauchen. Jeder kann sich kümmern - und erwartet dann auch zu Recht, dass der Staat denen den Rücken stärkt, die sich für andere einsetzen.

Deutschland diskutiert über Integration. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Ist "nichtdeutsche Herkunft" ein Problemsignal? Ist es nicht vielmehr eine Stärke, mehrere Sprachen zu können? Sicher ist, dass wir mehr für Integration tun müssen: eine klarere Haltung und Sprache, eine konsequente Durchsetzung von Regeln, Recht und Ordnung. Und eine soziale Sicherheit, die Menschen - egal wo die Wiege ihrer Eltern stand - befähigt, anstatt sie nur zu versorgen. Integration ist weit mehr als die Frage, wie wir an unseren Grenzen mit denen umgehen, die kommen, oder die Frage, wer bleiben darf oder nicht. Integration ist das Beharren auf gleichen Regeln und gleichen Chancen für alle Menschen, die in Deutschland leben, und das Versprechen, dass jeder Mensch des eigenen Glückes Schmied sein kann.