Ostsee-Zeitung Manuela Schwesig: Jeder Mensch soll in hohem Alter die Unterstützung bekommen, die er braucht

Ostsee-Zeitung: Montag, zum Tag der Pflege, wollen Sie in einem Berliner Pflegeheim arbeiten. Welche Aufgaben werden Sie dort verrichten?

Manuela Schwesig: Ich lege los mit der Frühschicht um 6:20 Uhr und helfe den Bewohnern beim Waschen, beim Anziehen und beim Frühstücken. Ich will mir ein echtes Bild machen von der Arbeit der Pflegekräfte. Es geht darum, deutlich zu machen, dass hier Tag und Nacht von den Menschen in unserem Land wichtige und anspruchsvolle Arbeit geleistet wird.

Ostsee-Zeitung: Sie wollen die Ausbildung in den Pflegeberufen vereinheitlichen. Ist es nicht etwas völlig anderes, ein Neugeborenes zu wiegen, als einem alten Menschen aus dem Bett zu helfen und ihn daran zu erinnern, seine Medikamente zu nehmen?

Manuela Schwesig: Beide Berufe brauchen ein fundiertes Grundwissen. Die Ausbildung wird aber auch die notwendige Spezialisierung enthalten. Damit ist es zukünftig möglich, dass Frauen und Männer, die sich für diesen Beruf entscheiden, mehrere Möglichkeiten haben zu arbeiten. Das macht diesen Beruf attraktiver und moderner.

Ostsee-Zeitung: Sie wollen eine bessere Bezahlung erreichen. Wie wollen Sie das durchsetzen?

Manuela Schwesig: Mit der Pflegereform werden wir fünf Milliarden Euro mehr ausgeben. Wenn mehr Geld ins System kommt, muss es möglich sein, Spielräume zu haben für eine Lohnverbesserung. Es ist ja auch so, dass typisch weibliche Berufe schlechter bewertet werden als männliche. Daher ist es wichtig, dass die Sozialpartner eine neue Arbeitsbewertung vornehmen. Mein Haus entwickelt neue Instrumente, wie die Tarifpartner die Bewertung der Berufe auf Diskriminierungen überprüfen können. Es ist nicht erklärbar, dass in die Arbeitsbewertung einer Altenpflegerin nicht die körperliche Belastung einfließt, die bei dem Hausmeister desselben Arbeitgebers eine Rolle spielt.

Ostsee-Zeitung: Was zeichnet einen guten Pfleger aus?

Manuela Schwesig: Aufmerksamkeit und Zuwendung. Mir sagen immer wieder Altenpflegerinnen und Pfleger, dass sie den Beruf erlernt haben, um für den Menschen da zu sein. Deshalb beschweren sie sich zu Recht, dass die Bürokratie immer mehr Arbeitszeit auffrisst. Derzeit sitzen Pflegefachkräfte 40 Prozent ihrer Zeit am Computer. Das muss weniger werden. Ich finde es nicht notwendig zu dokumentieren, welche Zahnpasta benutzt worden ist.

Ostsee-Zeitung: Menschen, die ihre alten Angehörigen zu Hause pflegen wollen, stehen bisher ziemlich im Regen. Warum kann man das nicht besser regeln?

Manuela Schwesig: Die Familien in Deutschland leisten viel für ihre zu pflegenden Angehörigen und verdienen bessere Unterstützung. Die meisten alten oder kranken Menschen wünschen sich ja, so lange wie möglich zu Hause bleiben zu können. Die so genannte Familienpflegezeit ist bisher aber kaum in Anspruch genommen worden, weil der Arbeitgeber zustimmen musste und das oft nicht der Fall war. Daher wollen wir einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit einführen, damit die Angehörigen ihre Arbeitszeit reduzieren und im Beruf bleiben können. Für die Unternehmen wird die neue Familienpflege aber ebenfalls attraktiver: Falls jemand die bereits vorfinanzierte Arbeitszeit nicht nacharbeiten kann, weil er selbst krank geworden ist, springen wir ein. Dafür wird es eine Härtefallregelung geben. Daneben soll es künftig eine Lohnfortzahlung für die kurzzeitige Pflege unter zehn Tagen analog zum Kinderkrankengeld geben, wenn beispielsweise der Vater einen Schlaganfall hatte und die Betreuung sofort organisiert werden muss. Es ist aber auch wichtig, dass wir professionelle Unterstützung haben durch ambulante Pflege und Kurzzeitpflege. Es wird zudem Vereinbarungen mit den Kommunen geben, um wohnortnahes barrierefreies Wohnen zu ermöglichen.

Ostsee-Zeitung: Für die Betriebe ist es schwierig, Ersatz zu finden, wenn ein Beschäftigter zwei Jahre lang seine Arbeitszeit reduziert.

Manuela Schwesig: Für die Unternehmen ist es schwieriger, wenn jemand ganz aus dem Job aussteigt oder wegen der hohen Belastung am Ende ausfällt. Die Betriebe brauchen ihre Fachkräfte und müssen sich zunehmend der Frage stellen, wie sie die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege unterstützen können.

Ostsee-Zeitung: Wird es Ausnahmen für kleine Unternehmen geben?

Manuela Schwesig: Betriebe mit weniger als 15 Beschäftigten sollen auf jeden Fall ausgenommen werden.

Ostsee-Zeitung: Insgesamt kommen durch die besseren Leistungen enorme Mehrkosten auf die Gesellschaft zu. Außerdem müssen immer wenige Junge immer mehr Ältere versorgen. Wer soll das langfristig alles bezahlen?

Manuela Schwesig: Für die Pflegereform sind fünf Milliarden Euro veranschlagt, dafür wird der Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozent angehoben. Ein Fünftel des Geldes wird in einen so genannten Vorsorgefonds als demographische Reserve geparkt. Wenn sich die Bedingungen verbessern sollen, müssen wir alle bereit sein, mehr für die Pflege zu bezahlen.

Ostsee-Zeitung: Sollte der Staat nicht mehr auf private Vorsorge setzen?

Manuela Schwesig: Wir müssen es hinbekommen, dass jeder Mensch die Unterstützung im hohen Alter bekommt, die er braucht. Das darf nicht vom Geldbeutel abhängen.