ZEIT Manuela Schwesig: Familienpolitik muss Männer als Partner miteinbeziehen

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Interview

DIE ZEIT: Frau Schwesig, Sie haben einen siebenjährigen Sohn. Womit spielt er?

Manuela Schwesig: Drinnen spielt er gern mit Playmobil. Er hat ein Hotel, eine Feuerwehr und einen Campingplatz. Draußen spielen wir oft zusammen im Baumhaus. Da gibt es sogar eine Küche. Manchmal serviert er mir dort Espresso. Das hat er sich von meinem Mann abgeguckt.

DIE ZEIT: Bei Schwesigs geht es also sehr modern zu: Es gibt keine Mädchen- und Jungssachen und keine Frauen- und Männeraufgaben.

Manuela Schwesig: Meine Erfahrung ist, dass Kinder viel von den Eltern übernehmen. Bei mir und bei meinem Mann haben die Eltern den Haushalt zusammen geschmissen. Also war das auch für uns selbstverständlich, und so ist es jetzt auch für meinen Sohn. Er hat einen bunt gemixten Freundeskreis mit Jungen und Mädchen. Er spielt Fußball, aber ich finde es auch in Ordnung, wenn er mal Lust hat, mit Puppen zu spielen.

DIE ZEIT: Hat er auch eigene Puppen?

Manuela Schwesig: Ja. Charlotte, eine Babypuppe. 

DIE ZEIT: Oft heißt es, Jungen seien in der Schule mittlerweile benachteiligt, weil es mehr Lehrerinnen als Lehrer gibt und manche Schulbücher sehr auf Mädchen ausgerichtet sind. Machen Sie solche Erfahrungen?

Manuela Schwesig: Befreundete Eltern von Jungen, die etwas lauter und wilder sind, klagen manchmal darüber, dass es in der Schule nicht das richtige Angebot für ihre Kinder gibt und Lehrerinnen und Lehrer nicht genug auf die Mentalität solcher Jungs eingehen. Ich würde das aber nicht allein an der Frage festmachen, ob Männer oder Frauen unterrichten. Es geht eher darum, dass Kinder unterschiedliche Bedürfnisse haben und nicht alle immer Lust auf Basteln und Scherenschnitt haben. Auch Mädchen werden manchmal zur Räson gerufen, weil sie laut sind und raufen und Mädchen das angeblich nicht machen. Mir ist das fremd. Ich hatte als Kind viele Jungs als Spielfreunde, wir sind auf Bäume geklettert und haben Buden gebaut.

DIE ZEIT: Als im vergangenen Jahr in Berlin ein begehbares Barbie-Puppen-Haus aufgestellt wurde, haben Frauengruppen demonstriert. Können Sie das nachvollziehen?

Manuela Schwesig: Wenn ich auf Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen schaue, wenn ich sehe, welche Probleme Frauen haben, in Führungspositionen zu kommen oder welcher Gewalt sie ausgesetzt sind, dann sehe ich noch andere wichtige Themen für die Frauenpolitik.

DIE ZEIT: Die Barbie-Kritikerinnen glauben, dass all diese Probleme auch dadurch entstehen, dass Frauen falsche Vorbilder wählen.

Manuela Schwesig: Das stimmt ja auch manchmal. Für mich ist entscheidend, ob ein Kind nur mit Barbie aufwächst oder ob das eins von vielen Spielzeugen neben dem Bagger und neben der Feuerwehrstation ist. Problematischer finde ich, wenn kleine Mädchen von ihren Eltern hören: "Oje, du hast wieder zugelegt", wenn die Hose mal kneift.

DIE ZEIT: Was ist heutzutage das größte Hindernis für den beruflichen Aufstieg von Frauen: fehlende Kinderbetreuung, mangelndes Selbstbewusstsein oder die berühmte gläserne Decke?

Manuela Schwesig: Auch Frauen ohne Kinder stoßen an die gläserne Decke. Die kinderunfreundliche Arbeitswelt ist also nicht das einzige Problem. Trotzdem sehe ich die mangelnde Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie als das größte Hemmnis. Ich habe selbst in den Jahren als Landesministerin immer wieder erlebt, dass Frauen Führungspositionen nicht übernehmen wollten, weil sie fürchteten, nicht mehr genug Zeit für ihre Kinder oder ihre alten Eltern zu haben. Wenn man sich zusammen hinsetzt und Lösungen sucht, mit Teilzeit oder der Möglichkeit, auch mal von zu Hause zu arbeiten, lässt sich nach meiner Erfahrung dann aber doch oft ein Weg finden.

DIE ZEIT: Dann liegt die Lösung des Problems vor allem in flexibleren Arbeitszeiten?

Manuela Schwesig: In der Familienpolitik wurde oft versäumt, Männer als Partner mitzudenken. Unser Ziel kann ja nicht sein, dass Frauen in Führungspositionen ankommen, aber trotzdem die ganze Verantwortung für die Kinder, für die pflegebedürftigen Angehörigen und vielleicht noch für ein Ehrenamt übernehmen. Also müssen wir bei der Arbeitszeit ansetzen. Ich werbe für die Familienarbeitszeit, ein Modell, mit dem Männer ihre Stundenzahl leichter reduzieren und Frauen sie leichter aufstocken können als bisher. Umfragen zeigen, dass Eltern sich diese Modelle wünschen, sie aber selten finden.

DIE ZEIT: Sie planen eine 30-Prozent-Frauenquote für Aufsichtsräte. Ist Ihr Ideal eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen alles 50 zu 50 teilen, sowohl die Familienarbeit als auch die Karriereposten?

Manuela Schwesig: Dass beide die Hälfte von allem übernehmen, wäre zwar mein Ideal, aber ich würde das niemandem vorschreiben. Ich stelle nur fest, dass jetzt schon 60 Prozent der Paare so eine partnerschaftliche Aufteilung wollen, aber nur 14 Prozent dieses Ideal umsetzen. Soll ich mich nun auf die 40 Prozent der Paare stürzen, die etwas anderes wollen, und sie missionieren? Nein, jeder muss sein Lebensmodell so leben, wie er möchte.

DIE ZEIT: Begegnen Ihnen eigentlich auch wütende Männer, die sich benachteiligt fühlen oder wegen der Quote um ihre Zukunft fürchten?

Manuela Schwesig: Es gibt Männer, die sehen ganz klar, dass ihnen ein großes Stück vom Kuchen abgenommen wird. Es ist doch so: In Aufsichtsräten von Topunternehmen wird viel Geld verdient und viel Geld verteilt. Wer dazugehört, hat Macht und Einfluss. Und ich habe es noch nie erlebt, dass jemand freiwillig Geld, Macht und Einfluss abgibt. Deshalb sollte niemand die Wirkung der  Frauenquote unterschätzen.

DIE ZEIT: Im Kabinett ist ihre 30-Prozent-Quote umgesetzt, außerdem gibt es eine Chefin. Haben es Frauen in der Politik heute leichter als Männer?

Manuela Schwesig: Nein, im Gegenteil. Wir sind immer noch zu wenige. Wir werden immer noch stärker beleuchtet und müssen mehr liefern.

DIE ZEIT: Aber verdanken nicht gerade Sie Ihren Aufstieg auch der Tatsache, dass Sie eine junge, noch dazu nicht gerade hässliche Frau sind?

Manuela Schwesig: Nein, es wäre naiv, zu glauben, dass es möglich ist, in der Politik durch Alter und Aussehen zu bestehen. Würden Sie Ihre Frage auch einem Mann stellen? Männer können jeden Tag im gleichen grauen Anzug mit einer bekleckerten Krawatte herumlaufen, ohne dass sich jemand aufregt. Bei den Frauen wird diskutiert, was hat sie da wieder an, wie sitzen ihre Haare?

DIE ZEIT: Machen Frauen anders Politik?

Manuela Schwesig: Mir fällt auf, dass sie anders behandelt werden, wenn sie genauso Politik machen wie Männer. Bei Frauen gibt es die Vorstellung, dass sie immer einer Meinung sein müssen, vor allem bei Fragen der Frauen- und Familienpolitik, sonst wird ihr Verhalten schnell als Zickenkrieg bezeichnet. Das ist unrealistisch. Ich möchte andere überzeugen. aber ich würde nie erwarten, dass alle meiner Meinung sind.

DIE ZEIT: Auch bei der Prostitution geht es um Macht von Männern und Frauen. Würden Sie Prostitution verbieten, wenn Sie dafür eine Mehrheit hätten?

Manuela Schwesig: Nein. Ich kann die Argumente dafür zwar in vielen Punkten nachvollziehen. Aber ich halte ein völliges Verbot der Prostitution für nicht realisierbar. Die Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt. Nach einem Verbot würde es sie weiter geben, nur versteckt. Wir würden die Frauen und Männer kriminalisieren, die in der Prostitution arbeiten, ob freiwillig oder nicht. Es ginge ihnen noch schlechter als jetzt. Es ist heute schon schwierig, wäre dann aber unmöglich, die Bedingungen in der Prostitution zu regeln. Aber so wie es jetzt ist, kann es auch nicht bleiben.

DIE ZEIT: Benutzen Sie den Begriff "Sexarbeiter"? Er legt nahe, dass Prostitution ein Job wie jeder andere sei: Die einen arbeiten halt in der Textilindustrie, die anderen im Sexgeschäft.

Manuela Schwesig: Es gibt Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen, die wirklich aus freien Stücken ihren Beruf gewählt haben, und das respektiere ich. Aber ich weiß, dass sich viele andere nicht freiwillig prostituieren, sondern in einer Notsituation sind. Vor allem arbeiten viele unter Bedingungen, die sie sich nicht so ausgesucht haben. Das Schlimme an der Prostitution in Deutschland ist, dass sie ohne Regeln abläuft und dass brutale Ausbeutung und Gewalt verbreitet sind. Flatrate-Sex zum Beispiel gehört verboten.

DIE ZEIT: Finden Sie es unmoralisch, wenn Männer Bordelle besuchen?

Manuela Schwesig: Ich kann jedenfalls nicht akzeptieren, wenn es Bordellbesuchern völlig egal ist, welche Bedingungen da herrschen. Es geht weniger um Moral als um Rechte von Männern und Frauen, die in der Prostitution ausgebeutet werden. Für jede Pommesbude gelten in Deutschland strengere Auflagen als für Bordelle. Deshalb werde ich noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Regelung von Prostitution vorlegen.

DIE ZEIT: Zunehmend bekennen sich Menschen zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. In der Union, auch bei der Kanzlerin, gibt es Vorbehalte, etwa bei einer völlig freien Adoption durch Schwule und Lesben. Können Sie das nachempfinden?

Manuela Schwesig: Nein. Aber ich weiß, dass viele Menschen so fühlen. Deswegen sehe ich es nicht nur als meine Aufgabe, Gesetze für gleichgeschlechtliche Paare zu verbessern, ich werbe für die Akzeptanz von schwulen und lesbischen Eltern.

DIE ZEIT: Kennen Sie solche Paare?

Manuela Schwesig: Ja. Ich kenne zum Beispiel zwei Frauen, die zusammenleben und Kinder haben. Ihnen kein Kind anzuvertrauen, weil man der Meinung ist, dass sie mit dem falschen Partner Sex haben, fände ich falsch. Ich war vor Kurzem eingeladen, in einer kleineren Stadt eine Predigt zu halten, und habe an den Gesichtern die Überraschung gemerkt, als ich das Thema homosexuelle Paare und Adoption angesprochen habe.

DIE ZEIT: Sie haben sich vor sieben Jahren mit Ihrer Familie taufen lassen und gelten als fromm. In der Bibel wird Homosexualität in einigen Passagen als Sünde bezeichnet. Ist das ein Problem für Sie?

Manuela Schwesig: Ich frage mich oft: Was hätte eigentlich Jesus gesagt? Hätte er zu Schwulen und Lesben gesagt, Gott liebt euch nicht, weil ihr homosexuell seid? Bestimmt nicht.

DIE ZEIT: Haben Sie das in Ihrer Predigt so gesagt?

Manuela Schwesig: Ich habe gefragt: Worauf kommt es an in einer Familie? Auf Vertrauen, auf Zeit, auf Liebe, auf Respekt füreinander und für die Kinder. Das finden wir alles in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Nach dem Gottesdienst haben sich einige, auch Ältere, bei mir für die Denkanstöße bedankt. Die werden jetzt nicht gleich bei der nächsten Demonstration für die Volladoption dabei sein. Aber sie sind nachdenklich geworden.

DIE ZEIT: Viele Menschen sind nicht gegen Volladoptionen, weil sie schwulenfeindlich sind, sondern weil sie glauben, dass es für Kinder wichtig ist, unterschiedliche Verhaltensweisen von Männern und Frauen schon im Elternhaus zu erleben. Ist das für Sie eine überholte Vorstellung?

Manuela Schwesig: Dieses Argument unterstellt im Umkehrschluss, dass in allen Familien, wo Mann und Frau, Mutter und Vater mit Kindern zusammenleben, eine heile Welt besteht. Das ist leider auch nicht so. Warum soll eine Frau, die mit einem Mann zusammenlebt, geeigneter sein, ein Kind großzuziehen, als eine Frau, die mit einer Frau zusammenlebt?

DIE ZEIT: Die Frage ist, ob das Geschlecht als Kategorie überholt ist. Vor Gericht hat gerade zum ersten Mal eine Person, Norrie, das Recht erstritten, sich nicht zuordnen zu müssen, sich also weder als Mann noch als Frau zu bezeichnen.

Manuela Schwesig: Wenn jemand sich nicht zuordnen kann oder will, muss man das respektieren. Für die meisten ist es so, dass es das Geschlecht gibt und dass sie sich damit identifizieren. Ich bin eine Frau und bin es gern.

DIE ZEIT: Sie sind in Ostdeutschland aufgewachsen, einer Welt mit weniger quälenden Debatten über Männer- und Frauenrollen als in der alten Bundesrepublik. Fragen Sie sich bei Gender-Diskussionen manchmal: Wovon reden die eigentlich? Worüber regen die sich so auf?

Manuela Schwesig: Das war am Anfang so. Nach vielen Begegnungen mit Frauen und Männern aus dem Osten und dem Westen sind mir die historisch gewachsenen Unterschiede bewusster. Ich weiß, dass ich es leichter hatte als andere Frauen, weil ich mich nie rechtfertigen  musste. Meine Mutter hat in meiner Kindheit sogar mal zusätzlich zum Beruf ein Fernstudium gemacht. Sie war immer mittwochs nicht da, und mein Vater hat für meinen Bruder und mich gekocht. Seine Bratkartoffeln sind bis heute hervorragend.

DIE ZEIT: Diese Erfahrung trennt Sie von den meisten Männern und Frauen, für die Sie Politik machen. Kein Problem?

Manuela Schwesig: Heute nicht mehr. Ich habe viel von Freundinnen aus den alten Bundesländern gelernt. Sie mussten Kämpfe führen, die es für mich nicht gab. Ich erinnere mich noch an eine, die in den Jahren nach dem Mauerfall nach München gezogen war, eine Familie mit kleinen Kindern hatte und nach der Babypause wieder arbeiten wollte. Sie weinte am Telefon und war völlig fertig, weil sie keine Kinderbetreuung fand. Ich habe das zuerst nicht verstanden, München ist doch eine reiche Stadt, dachte ich. Und wo so viel Reichtum ist, muss es doch auch genug Kitas geben.