Rheinische Post Franziska Giffey: "Noch nie dagewesenes Hilfspaket beschlossen"

Pressefoto der Ministerin
Franziska Giffey: "Wir haben ein in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie dagewesenes Hilfspaket beschlossen."© Thomas Imo/photothek.net

Rheinische Post: Frau Giffey, wie bringen Sie persönlich in der Coronakrise die Kinderbetreuung und den beruflichen Alltag unter einen Hut?

Franziska Giffey: Wir teilen uns das in der Familie auf. Ich bin ja in der Verantwortung als Ministerin und kann nicht die ganze Zeit Homeoffice machen. Aber wenn man kein Kita-Kind mehr hat, geht es ja auch besser. Unser fast elfjähriger Sohn kommt schon gut mal eine Zeit alleine zurecht.

Rheinische Post: Und Sie erlauben ihm jetzt mehr Zeit vor einem Bildschirm?

Franziska Giffey: Das muss ich zugeben. Aber wir haben feste Regeln eingeführt, damit das nicht überhandnimmt. Und ich bin im Moment abends schon häufiger zu Hause als sonst, weil viele Abendtermine weggefallen sind.

Rheinische Post: Könnten Sie denn von heute auf morgen ins Homeoffice wechseln, wenn bei Ihnen ein Corona-Verdacht aufkommen sollte?

Franziska Giffey: Dafür gibt es jedenfalls alle technischen Voraussetzungen. Das Ministerium ist seit Jahren darin geübt. Über 90 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten auch schon vor der aktuellen Corona-Lage regelmäßig im Homeoffice arbeiten. Jetzt haben wir auch insgesamt noch 97 virtuelle Räume für Telefonkonferenzen eingerichtet. Damit sind wir gut aufgestellt und Vorreiter in der Bundesregierung.

Rheinische Post: Sie sind bekannt dafür, extrem viele Auswärtstermine wahrzunehmen. Haben Sie die jetzt alle gestrichen?

Franziska Giffey: Ja, leider. Das ist mir mit am schwersten gefallen, weil ich aus solchen Terminen viel Energie und Wissen schöpfe. Ich habe immer ein starkes Bedürfnis dorthin zu gehen, wo es ein Problem gibt, mit den Menschen direkt vor Ort zu sprechen und dann daraus politisches Handeln abzuleiten. Aber das funktioniert jetzt eben erstmal nicht.

Rheinische Post: Haben Sie als zuständige Ministerin Sorge um den Zusammenhalt in den Familien in dieser Krise?

Franziska Giffey: In vielen Familien wird jetzt im übertragenen Sinne enger zusammengerückt und sich auch mehr geholfen. Aber in Familien, in denen es schon vorher nicht rund lief, können Kontakt- und Ausgehbeschränkungen oder Belastungen durch Einkommenseinbußen zu mehr Konflikten führen. Die Fallzahlen häuslicher Gewalt, die sich in aller Regel gegen Frauen und Kinder richtet, werden voraussichtlich zunehmen. Viele Eltern stehen vor existenziellen Sorgen, weil es drastische wirtschaftliche Einschnitte gibt.

Rheinische Post: Und dabei sieht der Bund eher hilflos zu, weil in fast allen Ländern ein Kapazitätsmangel in Frauenhäusern und Jugendeinrichtungen herrscht.

Franziska Giffey: Nein, ganz und gar nicht. Ich bin mit meinen Länderkolleginnen und -kollegen im intensiven Austausch über die Lage und konkrete Maßnahmen. Derzeit leerstehende Hotels können für Frauen, die vor Gewalt fliehen, geöffnet werden. Außerdem ist auch das bundesweite Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen weiter rund um die Uhr erreichbar. Unser Bundesprogramm zur Förderung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen ist gerade angelaufen und stellt jetzt den Ländern mehr Mittel bereit. Hier erweitern wir auch die Antragsfristen. Wo Gefahr droht, muss geholfen werden. Das gilt auch für den Kinder- und Jugendschutz.

Rheinische Post: Sollten die Jugendämter weiterhin Familien mit Problemen aufsuchen?

Franziska Giffey: Auf jeden Fall. Der Satz "Die Handlungsfähigkeit des Staates muss aufrecht erhalten bleiben" meint doch genau das. Kinderschutz ist Gesundheitsschutz und darf nicht ins Hintertreffen geraten, gerade weil wir leider mehr Gewalt gegen Kinder befürchten müssen. Die Unsicherheiten und Auswirkungen der Corona-Pandemie stellen auch für den Kinderschutz eine große Herausforderung dar. Als Bund unterstützen wir die Länder, Jugendämter und sozialen Dienste, den Kinderschutz zu gewährleisten und Familien vor Ort zu helfen. Wir verstärken Beratungsangebote wie die "Nummer gegen Kummer", das Elterntelefon und Hilfsangebote im Netz.

Rheinische Post: Besonders Alleinerziehende stehen nun unter Druck. Ihre Maßnahmen werden als unzureichend für diese Menschen kritisiert.

Franziska Giffey: Wir haben im Kabinett und im Bundestag ein in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie dagewesenes Hilfspaket beschlossen. Das muss erstmal umgesetzt werden und wirken.

Rheinische Post: Sollten die Länder Gebühren für Kitas jetzt aussetzen, solange die geschlossen sind?

Franziska Giffey: Ich finde, das wäre ein gutes Signal, und mehrere Bundesländer machen das auch schon. Ich bin ohnehin für die Entlastung der Eltern von Kitagebühren. Und es kann doch nicht sein, dass Eltern in dieser Krisenlage auch noch 600, 800 oder gar 1000 Euro für eine Einrichtung zahlen müssen, die gerade geschlossen ist. Die Länder, die noch Gebühren erheben, sollten diese jetzt aussetzen.

Rheinische Post: Könnten die jungen Menschen, die sich etwa im Bundesfreiwilligendienst engagieren, jetzt zur Unterstützung älterer Menschen eingesetzt werden?

Franziska Giffey: Wir haben insgesamt über 90.000 Menschen in den verschiedenen Freiwilligendiensten, von denen über 25.000 ohnehin in Einsatzstellen arbeiten, die jetzt sehr wichtig sind. Also beispielsweise in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Rettungsstellen und so weiter. Wir haben ermöglicht, dass Freiwillige, die in der aktuellen Situation ihren Dienst in ihrer ursprünglichen Einsatzstelle schließungsbedingt nicht verrichten können, sehr flexibel einen Einsatz an anderer Stelle bekommen. Wer da mitmachen möchte, soll schon bald auch auf die Hilfe einer Online-Börse zugreifen können. Daran arbeiten wir gerade.

Rheinische Post: Können Sie noch auf anderen Wegen Helfer rekrutieren?

Franziska Giffey: Im Moment gibt es eine Reihe von Initiativen, die sich an Menschen richten, die beispielsweise wegen geschlossener Universitäten derzeit viel Zeit zur Verfügung haben und gerne etwas tun möchten. Hier kann ich nur jede und jeden ermutigen, mitzumachen und zu helfen, wo immer es geht. Ohne Solidarität ist das Land verloren.