Neue Osnabrücker Zeitung Franziska Giffey: Wir wollen den Zugang zum Kinderzuschlag deutlich erleichtern

Pressefoto der Ministerin
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey© Thomas Imo/photothek.net

NOZ: Frau Giffey, das Coronavirus ist vor allem für ältere Menschen gefährlich. Hat die Regierung die Belange dieser Gruppe im Blick? 

Franziska Giffey: Ja, das hat sie. Wir haben am Mittwoch im Kabinett sehr intensiv beraten, wie wir Ältere, Hochbetagte und Vorerkrankte noch besser schützen und ihre medizinische Versorgung sicherstellen können. Gesundheitsminister Jens Spahn und ich als Seniorenministerin tun, was wir können.

NOZ: Die Politik fordert eindringlich, die Sozialkontakte völlig zurückzufahren. Warum ist das so wichtig? 

Franziska Giffey: Wir müssen die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Das gelingt nur, wenn wir Abstand zueinander halten, auch wenn das sehr schwerfallen kann. Für Junge und Gesunde ist das Virus nicht so gefährlich. Aber sie können es an Personen aus der Risikogruppe weitergeben. Das müssen wir soweit es irgend geht verhindern.

NOZ: Heißt das für Seniorinnen und Senioren, sie sollten nicht mehr einkaufen und spazieren gehen und nicht mehr mit dem Hund vor die Tür?

Franziska Giffey: Nein, das heißt es nicht. Der Frühling kommt. Vitamin D ist wichtig. Ein starkes Immunsystem schützt. Deswegen: Gehen Sie raus, gehen Sie spazieren, tanken Sie Sonne. Das ist gut für die Gesundheit und gut für Gemüt und Seele. Aber nicht in großen Gruppen und bitte kein Handgeben, kein Bekannten-Umarmen, keine Küsschen. Wir müssen alle Abstand halten und enge Kontakte herunterfahren. Dazu gehört es auch, Geburtstagsfeiern zu verschieben und auf Reisen zu verzichten.

NOZ: Spazieren gehen ist wichtig, sagen Sie. Dann wird die Regierung auch keine Ausgangssperre verhängen?

Franziska Giffey: Wir wollen das möglichst vermeiden. Eine Ausgangssperre ist eine erhebliche Einschränkung der persönlichen Freiheit und kann immer nur das allerletzte Mittel sein. Im Austausch mit der Wissenschaft, mit Ländern und Kommunen haben wir in Deutschland jetzt viele Maßnahmen ergriffen, von der Schließung der Kitas und Schulen bis zur Absage aller Veranstaltungen und Versammlungen. Es ist unverantwortlich, wenn Menschen jetzt vereinbarte Regeln einfach nicht beachten. Wenn zu viele Menschen unvernünftig und unsolidarisch sind und die Maßnahmen deshalb nicht wirken, muss womöglich doch über härtere Einschränkungen nachgedacht werden. Dem kann jede und jeder Einzelne entgegenwirken.

NOZ: In Berliner Parks wurde in dieser Woche noch gefeiert, als gäbe es kein Morgen

Franziska Giffey: Es ist mir unbegreiflich, wenn manche weiter Grillpartys feiern, als wäre nichts geschehen. Es ist ignorant, sich jetzt noch zu "Corona-Partys" zu verabreden. Als Jugendministerin möchte ich an alle jungen Leute appellieren: Hört auf damit! Wir sehen aber auch eine große Solidarität von jungen Menschen. Viele Jüngere bieten älteren Menschen ihre Hilfe an. Und das ist ganz viel wert.

NOZ: Können diejenigen, die sich im Freiwilligendienst engagieren, jetzt eine besondere Rolle übernehmen?

Franziska Giffey: 100.000 Menschen sind derzeit im Einsatz in einem freiwilligen Jahr und dienen der Gemeinschaft. Viele von ihnen können wegen der Corona-Verbreitung nicht an ihren eigentlichen Einsatzorten arbeiten, weil die Einrichtungen geschlossen sind. Wir sind in intensiven Gesprächen, um zu ermöglichen, dass Freiwillige auch an einem anderen Einsatzort tätig sein können, wo jetzt dringender Hilfe gebraucht wird. Schon jetzt ist ein Teil der Freiwilligendienstleistenden im Krisen- und Katastrophenschutz und in sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen eingesetzt. Wir werden gerade im sozialen Bereich noch mehr als bisher jede helfende Hand brauchen.

NOZ: Das Herunterfahren der sozialen Kontakte wird besonders für diejenigen zur Belastung, die keine Familien haben .

Franziska Giffey: Für solche Fälle haben wir Hilfsangebote wie die "Nummer gegen Kummer" für Kinder und Jugendliche, das Elterntelefon, das Pflegetelefon, das Hilfetelefon "Schwangere in Not" und das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen". Wir werden auch die Mittel für die Telefonseelsorge noch einmal aufstocken, damit die Mitarbeitenden für die erhöhte Nachfrage und die speziellen Bedürfnisse in dieser Zeit gut gerüstet sind.

NOZ: Braucht es auch ein "Enkelverbot " für Großeltern, weil sie besonders gefährdet sind?

Franziska Giffey: Das ist eine schwere Frage, auf die es nicht die eine Antwort gibt. Entscheiden müssen die Familien selbst. Klar ist: Kinder können Covid-19-Träger sein, ohne das überhaupt zu bemerken - gerade, wenn sie mit vielen anderen zusammen waren. Das Risiko, Großeltern anzustecken, ist da. Und wenn die Großeltern vorerkrankt sind, kann es kritisch werden. Aber es gibt Eltern, die arbeiten müssen und die bei der Kinderbetreuung auf Oma und Opa angewiesen sind. Mein Rat an Familien: Suchen Sie nach anderen Wegen, haben Sie das Risiko im Kopf. Es gibt andere Kanäle für Enkel, mit ihren Großeltern in Kontakt zu bleiben: Anrufen, Chatten, Briefe schreiben. Auch das kann viel Freude machen und vor Einsamkeit schützen.

NOZ: Selbst für Eltern in systemrelevanten Berufen klappt die Notbetreuung vielerorts nicht gut. Warum ist das so schwierig?

Franziska Giffey: Die Hürden sind hoch. Beide Elternteile müssen die Systemrelevanz ihrer Jobs begründen und darlegen, dass sie keine andere Möglichkeit haben, ihre Kinder unterzubringen. Zuständig sind die Länder und Kommunen. Sie müssen sicherstellen, dass kleine Kinder von Eltern, deren Arbeit jetzt unverzichtbar ist, auch wirklich in die Notbetreuung kommen. Bei der Anerkennung der Systemrelevanz braucht es pragmatische Lösungen. Wir dürfen die Versorgung der Bevölkerung nicht gefährden, weil Ärzte, Pflegekräfte, Polizisten oder Mitarbeiter aus der Energie-, Wasser-, Gesundheits- oder Lebensmittelversorgung zu Hause bleiben. Es wird in den Ländern darüber diskutiert, wie Regelungen im Einzelfall angepasst werden können oder ob es auch eine Ein-Elternteil-Regelung geben kann. Die Notbetreuung könnte damit auch dann ermöglicht werden, wenn nur ein Elternteil in einem systemrelevanten Beruf tätig ist.

NOZ: Für Pflegeheime und geriatrische Stationen gelten strikte Besucherregelungen. Manche Heime lassen niemanden mehr zu den Betreuten. Für manche ist es sehr schwer, nicht den Mut zu verlieren

Franziska Giffey: Es ist keine leichte Situation. Besonders schwer lastet die Ungewissheit, wie lange die Einschränkungen beibehalten werden müssen. Derzeit gelten sie bis zum 20. April. Wir müssen das jetzt akzeptieren, so schwer es auch fällt. Es geht einfach darum zu verhindern, dass sich zu viele Menschen gleichzeitig anstecken. Wir haben keine andere Wahl.

NOZ: Die Pandemie bringt viele Familien auch in finanzielle Not, weil die Verdienste wegbrechen. Können Eltern auf Unterstützung aus dem Familienministerium hoffen?

Franziska Giffey: Ja. Wir wollen den Zugang zum Kinderzuschlag für Familien mit kleinen Einkommen deutlich erleichtern. Schon bisher haben zwei Millionen Kinder einen Anspruch auf den KiZ, der bis zu 185 Euro pro Kind und Monat zusätzlich bedeuten kann. Für Eltern, die jetzt akut Einkommenseinbußen haben, planen wir die Möglichkeit, ebenfalls Ansprüche geltend zu machen. Am nächsten Montag bringen wir eine entsprechende Gesetzesänderung dazu zur Beschlussfassung ins Kabinett.

NOZ: Viele Eltern geraten auch durch Kita-Gebühren in Schwierigkeiten, wenn sie weniger Geld verdienen und die Kitas womöglich sogar geschlossen sind

Franziska Giffey: Ja, das ist für viele ein großes Problem, denn Kitas sind ja längst nicht überall gebührenfrei. Das ist Sache der Länder und Kommunen. Einige haben jetzt schon die Kita-Gebühren erlassen. Das finde ich richtig. Denn wir müssen Eltern helfen, mit ihren Einkommenseinbußen klarzukommen, und dürfen sie nicht noch mit Gebühren für nicht erbrachte Leistungen belasten, weil die Kita geschlossen werden musste. Auch hier brauchen wir pragmatische und schnelle Lösungen.