SUPERillu Dr. Franziska Giffey: "Demokratie ist eine Daueraufgabe"

Pressefoto der Ministerin
Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey© Thomas Imo/photothek.net

SUPERillu: Was bedeutet die Woche des bürgerschaftlichen Engagements für Sie?

Dr. Franziska Giffey: Sichtbarkeit und Wertschätzung für die über 30 Millionen Engagierten, die sich in Deutschland für den Zusammenhalt der Gesellschaft verantwortlich fühlen, sich dafür engagieren. Menschen, die sich kümmern und da anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Die Engagierten sind der Motor der Demokratie, das Herz unserer Gesellschaft.

SUPERillu: Ein Dienstpflichtjahr für junge Männer und Frauen könnte neues Blut in dieses Herz pumpen...

Dr. Franziska Giffey: Ich finde es absolut sinnvoll, wenn junge Leute sich nach der Schule für die Gemeinschaft engagieren. Das sind Erfahrungen und Begegnungen, die fürs Leben prägen. Dennoch halte ich es für besser wenn junge Leute nicht aus Zwang sondern aus Überzeugung mitmachen.

SUPERillu: Wie wollen Sie das anstellen?

Dr. Franziska Giffey: Dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen und sich nicht nur Kinder aus gutem Hause ein freiwilliges Jahr leisten können. Wir arbeiten gerade an einem umfangreichen Konzept, um die Freiwilligendienste auszubauen und attraktiver zu machen. Unsere konkreten Pläne dazu werde ich im Herbst vorstellen. Anregungen dafür hole ich mir von den Fachleuten vor Ort. Zum Beispiel wollen manche einen Freiwilligendienst machen, aber schaffen das nur in Teilzeit. Auch das soll künftig möglich sein.

SUPERillu: Sie haben in Ihren knapp sechs Monaten als Familienministerin schon alle 16 Bundesländer besucht...

Dr. Franziska Giffey: Ich habe mit den Menschen auf der Straße, in Kitas, Rathäusern, Unternehmen, Jugend-Projekten und Demokratie-Initiativen gesprochen. Wenn ich komme, fühlen sich die Leute wertgeschätzt. Das kannst du nicht allein mit guter Arbeit im Berliner Büro erreichen. Du musst hingehen, musst auch mal danke sagen, musst fragen, wie läuft es denn bei Euch. Und prüfen, ob die Ideen der Praktiker aufgegriffen werden können. Nach meinen Terminen bleiben die zuständigen Fachleute aus dem Ministerium noch zum Nachgespräch da und sammeln die Anregungen im Detail ein. Es geht mir darum, dass wir das für unsere Arbeit nutzen, was Menschen uns aus der Praxis mitgeben.

SUPERillu: Wie erlebten Sie die Stimmung im Land?

Dr. Franziska Giffey: Viele Menschen sind zufrieden. Aber ich will hier nichts schön reden, es gibt auch Unmut. Dass beispielsweise Leute sagen, sobald man eine kritische Frage stellt, wird man in irgendeine ideologische Ecke gestellt. Das ist ein Problem. So geht das nicht. Die Menschen haben berechtigte Fragen und sie haben berechtigte Sorgen. Also ist es unser Job als Politikerinnen und Politiker, darüber mit ihnen zu reden und Lösungen zu finden. Häufig schlägt Emotion eben Fakt. Das ist halt so. Damit kann man nur im Gespräch umgehen. Du kannst mit den tollsten Fakten aufwarten, aber wenn die Leute das Gefühl haben, es läuft schief und niemand kümmert sich, dann ist das nicht gut. Das kriegt man nur aufgelöst, wenn man sich der Diskussion im Land stellt. Eins ist aber auch klar: Wer Straftaten begeht und Gewalt ausübt, muss konsequent bestraft werden.

SUPERillu: Haben Sie ein aktuelles Beispiel?

Dr. Franziska Giffey: Als ich von den Ereignissen in Chemnitz gelesen habe, war für mich klar, dass ich da hin muss. Also bin ich gefahren, habe mit Aktiven vor Ort und der Bürgermeisterin gesprochen. Ich habe viele Anregungen mitgenommen, jetzt arbeiten wir an Vorschlägen wie wir die Dinge vor Ort verbessern können und dann komme ich wieder nach Chemnitz. Es geht doch um die Frage, was passiert, wenn die Kameras weg sind. Die Arbeit für die Demokratie ist eine Daueraufgabe und braucht nachhaltige Unterstützung auch von Seiten des Bundes.

SUPERillu: Sachsen wird jetzt bundesweit als brauner Sumpf wahrgenommen...

Dr. Franziska Giffey: Sachsen ist kein brauner Sumpf, Chemnitz auch nicht. Aber die Gefahr des Rechtsextremismus und des Rechtspopulismus ist hoch - in Sachsen, aber auch in anderen Bundesländern. Deshalb müssen wir überall denjenigen den Rücken stärken, die sich für die Demokratie einsetzen. Genau dafür ist auch die Woche des Bürgerschaftlichen Engagements ein guter Anlass.

SUPERillu: Sie sind die einzige Ministerin mit ostdeutschen Wurzeln...

Dr. Franziska Giffey: Die Reaktionen auf meine Nominierung ins Kabinett haben mich selbst überrascht. Nachdem mich Andrea Nahles am Abend vor der Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus gefragt hat, ob ich es machen würde, und ich zusagte, haben mir die Pförtner gratuliert. "Ick bin aus Weißensee und ick bin aus Brandenburg, und endlich ist ooch wieder eene von uns dabei." Da sind mir fast die Tränen gekommen. Wie sie sich gefreut haben. Solche Reaktionen habe ich dann noch sehr oft bekommen.

SUPERillu: Haben Sie wegen Ihrer Biografie in den alten Bundesländern auch negative Erfahrungen gemacht?

Dr. Franziska Giffey: Nein. Dazu muss ich sagen, dass ich eine klassische Mischbiographie habe - quasi die ersten 20 Jahre im Osten und die anderen 20 Jahre in Berlin. Im Westberliner Bezirk Neukölln habe ich Politik gemacht. Da assoziieren mich die Leute eher mit Neukölln. Die Problemstellungen dort und in vielen Städten Westdeutschlands sind sehr ähnlich.

SUPERillu: Das Gefühl hat nicht jeder...

Dr. Franziska Giffey: Es gibt im Osten Menschen, die sich abgehängt fühlen, nicht berücksichtigt und nicht gesehen und nicht in ihrer Lebensleistung anerkannt. Und das hängt auch mit der fehlenden Ost-Präsenz zusammen - in den Gremien des Bundes, in den Führungspositionen, in den großen Wohlfahrtsorganisationen.

SUPERillu: Braucht es deshalb eine Ossi-Quote?

Dr. Franziska Giffey: Soweit würde ich nicht gehen. Aber dass man die Interessen des Ostens im Blick behält und nicht so tut, als würde das alles keine Rolle mehr spielen, scheint mir schon sehr wichtig.

SUPERillu: Zum Beispiel?

Dr. Franziska Giffey: Die Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" der Bundesregierung, die bis 2020 Vorschläge zur Förderung strukturschwacher Regionen erarbeiten soll und bei der ich mit Horst Seehofer und Julia Klöckner den Vorsitz habe. Ich habe beiden gesagt, dass in den Arbeitsgruppen darauf geachtet werden muss, dass der Osten vernünftig vertreten ist. Dass auch Tagungsorte und Themen so verteilt werden müssen, dass der Osten präsent ist. Dabei geht es ausdrücklich nicht nur um Problembeschreibungen, sondern auch um Erreichtes und Entwicklungschancen.

SUPERillu: Wer ist Ihr politisches Vorbild?

Dr. Franziska Giffey: Regine Hildebrandt. Weil sie eine Politikerin war, die so gesprochen hat, dass die Leute sie verstehen und mit dem Herzen Politik gemacht hat. Sie hatte diesen Spruch: "Erzählt mir doch nicht, dass es nicht geht, sondern wie es geht." Das finde ich wunderbar.