Rhein-Neckar-Zeitung Bundesministerin Manuela Schwesig über die Situation der Kinder in Deutschland und ihre Rechte

Manuela Schwesig, Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel
Manuela Schwesig© Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel

Rhein-Neckar-Zeitung: Frau Ministerin, haben Kinder in Deutschland zu wenig Rechte? 
Manuela Schwesig: Es hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gegeben. Die Situation der Kinder in unserem Land hat sich verbessert. Das heißt aber nicht, dass es keinen Verbesserungsbedarf mehr geben würde. Es gibt noch viel zu tun, und zwar vor allem beim Kinderschutz und beim Thema gleiche Bildungschancen für alle. Wir müssen das Recht jedes Kindes auf gewaltfreie Erziehung, Schutz und Beteiligung stark machen.
Rhein-Neckar-Zeitung: Deutschland feiert jetzt 25 Jahre UN-Kinderrechtskonvention. Was ist für Sie das wichtigste Kinderrecht?
Manuela Schwesig: Jedes Kind hat das Recht, ohne Gewalt aufzuwachsen. Die Realität sieht aber auch in Deutschland manchmal anders aus: Viele Kinder leiden unter Misshandlungen. Im vergangenen Jahr sind 8500 Kinder aus ihren Familien herausgeholt und in die Obhut des Jugendamtes genommen worden, weil sie entweder vernachlässigt worden sind oder direkt Gewalt erfahren haben. Das sind für mich erschreckende Zahlen. Ich prüfe deshalb, ob wir das Bundeskinderschutzgesetz verändern oder gegebenenfalls sogar verschärfen müssen. Und wir brauchen eine sichere Finanzierung um Familien in schwierigen Lebenslagen vor Ort einfach Hilfe zu ermöglichen, wie zum Beispiel durch Familienhebammen. 
Rhein-Neckar-Zeitung: Zehn Prozent der Kinder in Deutschland wachsen in relativer Armut auf, beklagt UNICEF. Was ist die Antwort der Bundesfamilienministerin? 
Manuela Schwesig: Für mich ist die Bekämpfung von Kinderarmut ein sehr wichtiger Punkt. Es ist entscheidend, dass Eltern eine ordentlich bezahlte Arbeit haben und die Familien nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind. Der Mindestlohn ist da ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Außerdem müssen wir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Viele alleinerziehende Frauen, die vorher in Dienstleistungsbranchen tätig waren, sind langzeitarbeitslos, weil sie keine geeigneten Betreuungsplätze finden. Kinder müssen unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern Zugang zu Kitas, Sprachförderung und Sportvereinen haben. 
Rhein-Neckar-Zeitung: Wollen Sie finanzielle Leistungen für Familien erhöhen, um Kinderarmut zu bekämpfen? 
Manuela Schwesig: Der Kinderzuschlag hat eine wichtige Funktion Armut zu bekämpfen. Ich setze dabei auf ein Gesamtpaket aus Kinderzuschlag und Kindergeld, Kinderfreibetrag sowie dem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. Darüber sind wir in der Koalition im Gespräch.  
Rhein-Neckar-Zeitung: Sind Sie dafür, die Kinderrechte ausdrücklich ins Grundgesetz aufzunehmen?  
Manuela Schwesig: Die Kinderrechte gehören unbedingt in unsere Verfassung. 
Rhein-Neckar-Zeitung: Was wäre dann anders? 
Manuela Schwesig: Es hätte ganz konkrete Folgen. Kinder, die in der eigenen Familie Gewalt erfahren, hätten damit eher die Chance auf ein neues Leben. Wir erleben leider immer wieder, dass bei Misshandlungen und Vernachlässigungen am Ende doch das Elternrecht höher bewertet wird als das Kinderrecht. Hätten wir die Kinderrechte im Grundgesetz, wäre das anders.
Rhein-Neckar-Zeitung: Welche Vorteile hätte die Erwähnung von Kinderrechten im Grundgesetz darüber hinaus? 
Manuela Schwesig: Bei jeder gesetzlichen Änderung müsste darauf geachtet und überprüft werden, ob die Kinderrechte gewahrt werden. In den Parteien gibt es unterschiedliche Meinungen. Aber ich werde trotzdem weiter dafür werben. Wir haben beschlossen eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzusetzen, die prüfen soll, ob und wir die Kinderrechte auch mit einfachen Gesetzesänderungen stärken können.
Rhein-Neckar-Zeitung: Der Vorschlag findet immer mehr Anhänger: Was spricht eigentlich gegen ein Kinderwahlrecht?
Manuela Schwesig: Kinder sollten eine stärkere Stimme in der Politik haben. Deshalb finde ich persönlich die Idee eines Familienwahlrechts gut. Dann bekäme ein Elternteil pro Kind eine zusätzliche Stimme bei Wahlen. Aber auch dieser Vorschlag wird kontrovers diskutiert – auch in meiner eigenen Partei.
Rhein-Neckar-Zeitung: Wer wacht eigentlich über die Einhaltung der Kinderrechte in Deutschland?
Manuela Schwesig: Ich werde beim Deutschen Institut für Menschenrechte eine Monitoringstelle einrichten, die ab nächstem Jahr ihre Arbeit aufnimmt. Sie soll kontinuierlich beobachten, ob und wie in Deutschland die Kinderrechtskonvention auf allen Ebenen umgesetzt wird. So können wir besser erfahren, was die Kinder in ihrem Alltag brauchen.

Rhein-Neckar-Zeitung: Mal ein konkretes Beispiel: Flüchtlingskinder in Deutschland gelten als benachteiligt. Werden hier Kinderrechte grob missachtet? 
Manuela Schwesig: Kinder aus Flüchtlingsfamilien benötigen freien Zugang zu allen Gesundheitsleistungen und zum Bildungssystem. Ganz speziell werde ich mich dafür einsetzen, die Situation von Flüchtlingskindern zu verbessern, die ohne ihre Eltern zu uns kommen. Bisher verlangt das Gesetz, dass unbegleitete Flüchtlingskinder allein in dem Bundesland untergebracht werden dürfen, in dem sie ankommen. Das wollen wir ändern. Wir müssen Orte für Flüchtlingskinder überall in Deutschland finden, die gut sind.