Welt am Sonntag: Diese Woche hat das Kabinett nach langem Hin und Her die Quote für Aufsichtsräte großer Unternehmen beschlossen. Sind Sie jetzt stolz?
Manuela Schwesig: Ich freue mich. Die letzten Monate haben noch einmal gezeigt, wie stark die Widerstände sind, wenn man versucht, etwas für Frauen zu bewegen. Insofern freue ich mich, dass das Kabinett den Gesetzentwurf so, wie Heiko Maas und ich ihn vorgelegt haben, beschlossen hat.
Welt am Sonntag: Nun ist der Gesetzentwurf zwar durchs Kabinett. Aber noch lange nicht durch den Bundestag. Da gilt das Strucksche Gesetz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es reingegangen ist.
Manuela Schwesig: Nach der Quote ist vor der Quote. Der Kabinettbeschluss war ein großer Schritt. Wir haben jetzt parlamentarische Beratungen und die nehme ich auch ernst. Aber wir haben dieses Gesetz ja auch schon im Koalitionsausschuss mit den Spitzen der Koalitionsfraktionen besprochen. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass es noch wesentliche Änderungen geben wird.
Welt am Sonntag: Die Opposition spricht eher von einem Quötchen, einer Schnecke, da, wo Frauen ein Rennpferd verdient hätten.
Manuela Schwesig: Die Kritik ist nicht gerechtfertigt. Es gibt seit 1982 die Debatte um eine Quote. Entscheidend an diesem Gesetz ist, dass es für die feste starre Quote von mindestens 30 Prozent keine Ausnahme gibt.
Welt am Sonntag: De facto betrifft das Gesetz aber nur etwa 160 Frauen in 108 Großunternehmen.
Manuela Schwesig: Das Gesetz ist ein guter Mix zwischen festen, klaren Vorgaben in den größten Unternehmen, wo die feste Quote ohne Ausnahmen gilt. In einer zweiten Säule verpflichten wir insgesamt 3500 Unternehmen, sich selbst Vorgaben zu machen. Das Gesetz zielt also nicht allein auf die Aufsichtsräte, sondern auch auf die Vorstände und die obere Managementebene.
Welt am Sonntag: Was macht Sie so sicher, dass sich etwas an der Unternehmenskultur ändern wird, wenn sich die Zusammensetzung im Aufsichtsrat ändert?
Manuela Schwesig: Wenn es keine Gleichberechtigung in der Führungsebene gibt, gibt es im Rest des Unternehmens erst recht keine Gleichberechtigung. Führung heißt auch, dass die Spitze mit gutem Beispiel vorangeht. Wir erleben ja jetzt schon, dass es um viel mehr geht als die konkrete Besetzung von Posten. Es geht um eine kulturelle Debatte: Werden Frauen in unserem Land ernst genommen, werden sie respektiert, traut man ihnen etwas zu? Oder heißt es: Macht ihr mal die Arbeit, aber wenn es um die großen Entscheidungen geht, machen wir Männer das unter uns aus.
Welt am Sonntag: Herr Kauder hat ihnen neulich "Weinerlichkeit" vorgeworfen. So ein Macho-Spruch dürfte Ihnen allerdings eher nützen als schaden, oder?
Manuela Schwesig: Solche Sprüche perlen an mir ab. Viele Frauen erleben Tag für Tag, dass sie unterschätzt werden. Wir Politikerinnen und Politiker sind aufgefordert, für gleichberechtigte Lebensverhältnisse zu sorgen. Aber die Lebenswirklichkeit ist eine andere. Drei Viertel der Frauen sagen, dass sie eine ungerechte Arbeitswelt erleben. Sie sehen, dass sie für gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden, dass sie kaum Chancen haben, in Führungspositionen zu kommen und dass sie die meisten Nachteile haben, wenn es darum geht, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Welt am Sonntag: Die Union hat ja jetzt nach langen Wehen beschlossen, den Abbau der kalten Progression anzugehen. Richtig?
Manuela Schwesig: Ich finde es gut, dass die Union den Vorschlag von Wirtschaftsminister Gabriel unterstützt. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Leute, die arbeiten gehen, insbesondere Familien, entlasten. Dazu gehört auch unser Versprechen die Alleinerziehenden steuerlich zu entlasten. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den steuerlichen Freibetrag für Alleinerziehende anzuheben. Ich sage ganz klar: Das muss kommen, bevor wir an die kalte Progression herangehen.
Welt am Sonntag: Frau Merkel meint, die SPD habe mit Rot-rot-grün in Thüringen unter einem Linke-Ministerpräsidenten ihre "Bankrotterklärung" abgegeben. Ist das der normale Umgangston unter Koalitionspartnern?
Manuela Schwesig: Ich teile Frau Merkels Meinung nicht. Die SPD trifft in den Ländern selbstbewusst ihre Entscheidungen. Die CDU muss sich selbstkritisch fragen, warum die SPD in Thüringen kein Vertrauen mehr in die Zusammenarbeit mit der Union hatte.
Welt am Sonntag: Haben Sie in ihrem ersten Jahr dazugelernt, wie man ein Projekt sinnvoll politisch platziert? Wir entsinnen uns an den Vorstoß der 32-Stunden-Woche für junge Eltern bei vollem Lohnausgleich. Angela Merkel hat Sie damals sehr schnell zurückgepfiffen.
Manuela Schwesig: Das Thema Familienarbeitszeit steht immer noch auf meiner Agenda und hat mittlerweile auch Unterstützer in der Wirtschaft gefunden. Mir geht es darum, dass die Arbeitszeit für Familien besser verteilt wird. Derzeit ist es so, dass die Männer alle Vollzeit arbeiten plus Überstunden und die Frauen durchschnittlich nur 19 Stunden. Das bedeutet: schlechte Einkommen und wenig berufliche Perspektiven. Wenn sich diese Zeiten ein wenig annähern, hätten beide Partner Zeit für die Arbeit, aber auch für die Familie. Gerade Frauen erleben eine starke Zerrissenheit und wünschen Unterstützung durch ihre Partner. Und das Interessante ist: Viele junge Väter wollen das auch. Ich werbe dafür, dass wir zu neuen Arbeitszeitmodellen in dieser Rush Hour des Lebens kommen. Den ersten Schritt haben wir mit dem Elterngeld Plus und der Familienpflegezeit gemacht. Das Thema trifft den Nerv der Leute.
Welt am Sonntag: Darf Familienpolitik das überhaupt, Wertvorstellungen transportieren und bestimmte Lebensmodelle bevorzugt propagieren?
Manuela Schwesig: Politik sollte keine Vorgaben machen. Aber sie muss Familien Angebote machen. 80 Prozent der Eltern in Deutschland wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diesen berechtigten Wunschunterstütze ich mit meiner Politik.
Welt am Sonntag: Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Vera Reiß (SPD) hat einmal gesagt, keine Mutter könne einem Kind das bieten, was eine Krippe bietet. Hat sie recht?
Manuela Schwesig: Die erste und wichtigste Bindung eines Kindes ist die an seine Eltern. Die Kita ersetzt nicht die Familie, sondern ist ein unterstützendes Angebot. Keine vernünftige Mutter, kein vernünftiger Vater gibt seine Erziehungsverantwortung an der Kita-Tür ab. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Sohn in der Kita noch einmal andere Dinge gelernt hat als bei mir und meinem Mann. Allein weil Kinder voneinander lernen.
Welt am Sonntag: Darf Familienpolitik überhaupt noch Bevölkerungspolitik sein?
Manuela Schwesig: Gute Familienpolitik hat zur Folge, dass mehr Kinder geboren werden, aber sie sollte nicht in erster Linie die Geburtenzahlen im Blick haben. Sie sollte sowohl Familien, die bereits Kinder haben, als auch solche mit Kinderwunsch unterstützen, diesen zu realisieren. Die Entscheidung für ein Kind ist eine individuelle und auch von Faktoren abhängig, die Politik - zum Glück - nicht beeinflussen kann. Das fängt bei der Partnerwahl an. Aber es gibt auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen, eine familienunfreundliche Arbeitswelt zum Beispiel. Ich will mit meiner Politik Familien das Leben erleichtern. Wenn das gelingt, werden sich auch mehr Familien für Kinder entscheiden.
Welt am Sonntag: Die Familienleistungen haben also keinen Einfluss auf die Geburtenrate?
Manuela Schwesig: Wir haben das untersucht. Es gibt ein einziges familienpolitisches Instrument, welches messbar zu mehr Kindern führt. Das ist die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur. Mehr Kitaplätze und mehr Ganztagsschulen führen zu mehr Kindern. Deshalb setze ich mich für den Ausbau ein, wie mit dem neuen Kita-Gesetz.
Welt am Sonntag: Müsste man nicht auch noch stärker, die unterstützen, die auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen und dafür die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung nutzen?
Manuela Schwesig: Ich bin sehr dafür, wieder zur alten Regelung zurückzukehren, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten der künstlichen Befruchtung ganz übernimmt. Das scheitert aber regelmäßig am Gesundheitsministerium, unabhängig davon, wer gerade Gesundheitsminister ist. Deshalb haben wir im Haus eine Richtlinie: Bei den Bundesländern, die mitmachen, unterstützen wir die künstliche Befruchtung finanziell. Dort bekommen Paare, die eine Behandlung in Anspruch nehmen, die Hälfte der Kosten als Zuschuss von Bund und Ländern. Ich arbeite daran, dass sich noch mehr Länder daran beteiligen.
Welt am Sonntag: Große amerikanische Unternehmen wie Apple bieten ihren Mitarbeiterinnen die Möglichkeiten des social freezing an, das Einfrieren von Eizellen. Ist das mit Blick auf immer spätere Schwangerschaften nicht sinnvoll?
Manuela Schwesig: Ich finde es gut, dass es die medizinische Möglichkeit des Einfrierens gibt. Aber die Botschaft von Unternehmen, dass man den Kinderwunsch auf einen günstigeren Zeitpunkt aufschieben soll, ist eine falsche Botschaft. Es wird nicht leichter im Job mit 40, und auch nicht mit dem Kinderkriegen. Ich möchte, dass sich die Stimmung ändert. Bisher heißt es doch: Mach erst einmal deine Ausbildung, dein Studium, bekomm erst einmal einen Job. Und dann hangeln sich die Leute von Befristung zu Befristung, und es geht vergeht viel Zeit. Die Botschaft sollte sein: Für ein Kind ist jeder Zeitpunkt der richtige - und alle im Umfeld, ob beruflich oder privat, sollten möglich machen, dass das gelingt.
Welt am Sonntag: Das erinnert an die Weihnachtsbotschaft. Wie wird denn im Hause Schwesig Weihnachten gefeiert?
Manuela Schwesig: Wir feiern sehr traditionell. Die Familie ist für mich ein großer Rückhalt. Wir sind an Heiligabend nachmittags immer zum Gottesdienst im Schweriner Dom. Danach kommt zuhause der Weihnachtsmann. Natürlich sagen wir gemeinsam ein Gedicht auf. Hinterher gibt's Kartoffelsalat und Würstchen.