Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der ZEIT

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab der ZEIT (Erscheinungstag 19. Dezember 2012) das folgende Interview: 

Frage: Frau Schröder, 2012 war ein besonderes Jahr für Sie, politisch waren Sie dank Betreuungsgeld und Feminismusdebatte eine der umstrittensten Politikerinnen. Privat haben Sie ihr erstes Jahr als Mutter erlebt, nachdem vor 18 Monaten Ihre Tochter zur Welt kam. Wir wüssten gern, wie die Familienministerin tickt in konkreten Alltagsfragen, die viele Väter und Mütter beschäftigen. Gerade zur Weihnachtszeit kollidieren heile Welt und Ehrlichkeit. Wann darf man einem Kind verraten, dass es den Weihnachtsmann oder das Christkind gar nicht gibt? 

Dr. Kristina Schröder: Ich will unsere Kleine durchaus ein paar Jahre in dem Glauben aufwachsen lassen, dass es sie gibt. Wenn allerdings die ersten wirklichen Nachfragen kommen, wenn echte Zweifel zu spüren sind, dann sage ich sofort offen: Das mit dem Weihnachtsmann ist eine schöne Geschichte. 

Frage: Weihnachtsmann oder Christkind? 

Dr. Kristina Schröder: Ich mag das Christkind lieber, in der Familie meines Mannes kommt der Weihnachtsmann. Wer bei uns kommt, haben wir beide noch nicht abschließend geklärt. 

Frage: Wie erklärt man, dass zu einigen Kindern der Weihnachtsmann kommt und zu anderen das Christkind? 

Dr. Kristina Schröder: Naja, an Weihnachten ist viel zu tun, man könnte daher sagen, dass einer allein das gar nicht schaffen kann. Als Kind habe ich an Weihnachten jedenfalls immer gegrübelt: Wie schafft das Christkind das bloß alles? 

Frage: Wie steht es mit sanfter Erpressung: Ist es in Ordnung zu behaupten, dass Weihnachtsmann oder Christkind nur braven Kindern Geschenke bringen? 

Dr. Kristina Schröder: Nein, da müsste man entweder heucheln und so tun, als ob immer alles in Ordnung wäre, oder Ernst machen und einem Kind auch mal nichts schenken. Besser finde ich es, wenn der Weihnachtsmann Dinge aufzählt, die toll gelaufen sind. Der Weihnachtsmann in der Familie meines Mannes ist ein verkleideter Onkel, der sagt zum Beispiel: Du liest so viel, drum schenke ich dir viele Bücher. 

Frage: In der Mafia-Soap-Oper "Die Sopranos" sagt der Mafiaboss zu seiner Frau über die Kinder: Wenn Sie jemals rauskriegen, dass wir nichts gegen sie in der Hand haben, sind wir geliefert. Wir fahren also fort im Instrumentenkasten der halblegalen Erziehungsmethoden. Wie steht es mit Bestechung: Ist Geld für gute Zensuren okay? 

Dr. Kristina Schröder: Bei mit zuhause gab es zwei Mark für jede Eins im Zeugnis. Ich würde eher ein Geschenkmachen. 

Frage: Was ist der Unterschied zu Geld?

Dr. Kristina Schröder: Ich finde, so ein direkter Geldtransfer hat ein bisschen etwas liebloses, zumal Kinder Taschengeld bekommen. Leistung gegen Geld, das ist mir bei Schulzeugnissen zu direkt.

Frage: Jeder weiß, Eltern müssen im Prinzip zusammenhalten. Was, wenn sie unterschiedliche Meinungen haben: Darf Mama andere Regeln aufstellen als Papa?

Dr. Kristina Schröder: Ich finde es grundsätzlich schrecklich, wenn Frauen die Erziehungsautorität ihres Mannes nicht anerkennen und immer meinen, sie hätten die letzte Entscheidung oder eine Art prinzipielles Vetorecht. Leider ertappe ich mich selbst auch manchmal bei solchen Gedanken. Abgesehen davon finde ich es auch vom Ergebnis her nicht schlimm, wenn Eltern nicht alles gleich entscheiden. Wenn Kinder sich später daran erinnern, dass sie beispielsweise bei Papa Schokolade im Bett essen durften und Mama beim Zubettgehen großzügiger war - das hat auch Charme.

Frage: Das Telefon klingelt, die Eltern wollen nicht telefonieren, aber das Kind ist schon dran. Die Mutter winkt ab und signalisiert: Ich bin nicht da! Vorstellbar im Hause Schröder?

Dr. Kristina Schröder: Meine theroretische Antwort ist hier: Nein, das sollte man nicht tun. Meine praktische Antwort: Ich kann nicht ausschließen, dass ich irgendwann mal in Versuchung gerate, zu sagen: Bitte sage, ich bin gerade am Handy!

Frage: Wir sind jetzt bei der Ehrlichkeit. Wie ehrlich müssen Eltern über sich selbst sein: Darf ich zum Beispiel meinem Kind gegenüber behaupten, dass ich nie Drogen genommen habe?

Dr. Kristina Schröder: Hmm. Nein, da würde ich zumindest nichts behaupten, was nicht stimmt. Das ist ja keine Frage, die ein sechsjähriges Kind stellt, sondern eher das 14jährige Kind. Und dem gegenüber kann man deutlich machen, was für eine Situation das war und vielleicht auch, aus was für einem Grund man das falsch findet.

Frage: Wie erkläre ich als gläubiger Mensch meinem Kind, dass Gott ein Gebet nicht erhört?

Dr. Kristina Schröder: Ohje. Das ist schon gegenüber einem Erwachsenen schwer zu erklären. Wenn die Frage lautet, warum man trotz Gebet eine Klassenarbeit vermasselt hat, wäre meine Antwort: Gott hat dich klug gemacht, aber Du musst deine Fähigkeiten selbst anwenden. Schwierig wäre ein schlimmerer Fall: Das Kind betet, damit der Opa wieder gesund wird - und er wird nicht wieder gesund. Da würde ich sagen, dass ich selbst nicht alle Entscheidungen Gottes verstehe. Dass es mir auch sehr weh tut, dass es dem Opa schlecht geht und dass ich mich manchmal auch ärgere über den lieben Gott.

Frage: Wie erklärt man einem kleinen Mädchen, das alle zu DEM lieben Gott beten, nicht zu DER Gott?

Dr. Kristina Schröder: Ganz einfach: Für eins musste man sich entscheiden. Aber der Artikel hat nichts zu bedeuten. Man könnte auch sagen: Das liebe Gott.

Frage: Darf man dem Kind erzählen, dass Gott die Welt erschaffen hat?

Dr. Kristina Schröder: Es kommt darauf an, wie man es erzählt. Wenn das Kind noch ganz klein ist, ist die biblische Geschichte in Ordnung. Später würde ich die Evolutionsgeschichte danebensetzen. Dass man die Bibel da nicht wörtlich nehmen kann, ist klar, und ab einem gewissen Alter verstehen Kinder das. Ich finde es ganz unproblematisch zu sagen: Dass sich alles in der Natur so sensationell entwickelt hat, da war der liebe Gott ganz erheblich dran beteiligt.

Frage: Häufiger begegnet Eltern ein anderes Problem: Kindergeschichten, deren Sprache diskriminierend ist. Der Vater von Pippi Langstrumpf zum Beispiel ist ein "Negerkönig". Werden Sie da beim Vorlesen übersetzen?

Dr. Kristina Schröder: Ich werde synchron übersetzen, um mein Kind davor zu bewahren, solche Ausdrücke zu übernehmen. Auch ohne böse Absicht können Worte nämlich Schaden anrichten, und das fände ich nicht so toll. Wenn ein Kind älter ist, würde ich dann erklären, was das Wort "Neger" für eine Geschichte hat und dass es verletzend ist, das Wort zu verwenden.

Frage: Wie übersetzen Sie also, wenn in der Erzählung über Jim Knopf steht: Im Karton, der in Lummerland ankam, lag ein kleines Negerbaby?

Dr. Kristina Schröder: Da lag ein kleines Baby mit schwarzer Hautfarbe. Und Pippis Vater ist eben der Südsee-König. Die Hautfarbe spielt in der Geschichte ja keine entscheidende Rolle.

Frage: Was macht man bei Erzählungen mit einem doofen Frauenbild? In vielen Märchen wimmelt es nur so von bösen Hexen und Stiefmüttern, tapferen Prinzen und schützenswerten Prinzessinnen...

Dr. Kristina Schröder: ... stimmt, gerade Grimms Märchen sind oft sexistisch! Da gibt es selten eine positive Frauenfigur. Andererseits gehören Grimms Märchen zum kulturellen Kanon dazu, ich werde sie deshalb auch meinem Kind vorlesen, allerdings dosiert. Dazu müssen dann auch Geschichten mit anderen Rollenbildern kommen.

Frage: Apropos Rollenbilder: Mein Kind wird von einem anderen Kind bedroht. Unter uns: Darf ich dem anderen Kind einen Satz Prügel androhen?

Dr. Kristina Schröder: Nein, das geht gar nicht. Aber man kann sehr klar und deutlich werden. Und man kann auch die Eltern anrufen.

Frage: Ein Kind nimmt meinem Kind ein Sandförmchen weg. Muss das Kind sich das Förmchen allein wiederholen oder sage ich zu dem anderen Kind: Her mit dem Förmchen!

Dr. Kristina Schröder: Ich setze erstmal darauf, dass die Kinder die Sache unter sich ausmachen. Wenn mein Kind aber völlig aufgelöst wäre, würde ich schon mit ihr zu dem anderen Kind gehen und versuchen, das Förmchen zurückzuerobern.

Frage: Im Gespräch?

Dr. Kristina Schröder: Ja, natürlich. Ich würde vielleicht sagen: Hast du denn unter deinen Sachen etwas, was du uns geben kannst?

Frage: Typisch Politikerin - Sie würden einen Vermittlungsausschuss aufmachen! Glauben Sie eigentlich, dass man mit seinem Kind befreundet sein kann?

Dr. Kristina Schröder: Nein, das glaube ich nicht. Ich finde das auch nicht erstrebenswert. Zu Freundschaft gehört für mich beispielsweise, dass man auch über Liebe und Partner sprechen kann - und ich finde es völlig normal, dass Kinder gerade in der Pubertät mit ihren Eltern nicht über so etwas reden wollen. Da gibt es eine Schranke, die ist ganz in Ordnung, in beide Richtungen übrigens. Ich glaube, dass es für ein Kind sogar schnell peinlich sein kann, wenn die eigenen Eltern mit ihrer Sexualität zu offenherzig sind.

Frage: Wir machen einen kleinen Liberalitätscheck: Das Kind ist noch keine 18 und will ein Tattoo.

Dr. Kristina Schröder: Da endet bei mir die Liberalität, weil ich sicher bin, dass man das später bereuen würde.

Frage: Es ist acht und will Ohrlöcher.

Dr. Kristina Schröder: Auch da gibt es für mich eine Untergrenze: Frühestens mit 12 oder 13.

Frage: Es bekommt, was wir Ihrer Tochter nicht wünschen wollen, eine wirklich, wirklich große Nase und wünscht sich zum 16. Geburtstag eine Schönheits-Operation, wie viele Teenager heutzutage.

Dr. Kristina Schröder: Ich hätte Verständnis, wenn sie mit 18 Jahren sagen würde: Ich lass das machen. Aber ich finde die Entscheidung so gravierend, dass ich nicht zulassen würde, dass mein Kind sie früher trifft - und ich würde sie auch nicht für mein Kind treffen wollen.

Frage: Was würden Sie in der Kindererziehung ganz anders machen als die Eltern? Gibt es beispielsweise einen Satz aus Ihrer Kindheit, den Sie nie sagen wollen?

Dr. Kristina Schröder: Einen ganz bestimmten Tabu-Satz habe ich nicht. Aber umgekehrt hatte ich mir natürlich immer vorgenommen, meine eigenen Maßstäbe zu setzen, und jetzt mache ich trotzdem vieles ganz ähnlich bei unserer Tochter wie meine Eltern bei mir. Und ich fühle mich kein Stück schlecht dabei.

Frage: Zum Schluss wird es nochmal heikel: Ist es schlimm, wenn ich meine Kinder unterschiedlich stark liebe?

Dr. Kristina Schröder: Ja, das ist es. Ich habe gerade eine interessante Studie darüber gelesen, wonach das in vielen Familien vorkommt und die Eltern das als schlimm empfinden. Da muss man sehr rational sein und das absolut nicht zeigen. Nie. Das ist wirklich eine eherne Regel.

Frage: Und wenn die Kinder fragen?

Dr. Kristina Schröder: Das ist einer der wenigen Fälle, bei denen ich gnadenlos lügen würde.

Frage: Als Sie Familienministerin wurden, haben einige es als Manko gesehen, dass sie selbst noch keine Kinder hatten. Wie ist ihre Bilanz, jetzt, wo sie Mutter sind: Hat ihre Politik durch die eigene Erfahrung gewonnen, arbeiten Sie anders als vorher?

Dr. Kristina Schröder:Politisch bin ich dieselbe geblieben, aber als Mensch habe ich mich sicher verändert. Ich habe ja zehn Wochen nach der Geburt meiner Tochter wieder angefangen zu arbeiten. Ich mache seitdem jede Woche meine eigenen Erfahrungen, was es heißt, Familie und Beruf nebeneinander auf die Reihe zu bekommen. Dinge, die vorher selbstverständlich und unkompliziert waren, müssen jetzt oft Monate vorher organisiert werden, weil mein Mann ja wie ich Vollzeit arbeitet.