Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit dem SPIEGEL

Dr. Kristina Schröder gab dem SPIEGEL (Erscheinungstag 9. Februar 2013) das folgende Interview:

Frage: Frau Ministerin, ist Ihre Familienpolitik wirkungslos?

Dr. Kristina Schröder: Natürlich nicht. 

Frage: Von Ihnen beauftragte Wissenschaftler sehen das anders. In ihrer Expertise schreiben sie, viele Familienleistungen seien unwirksam und teilweise sogar kontraproduktiv, etwa, was die Berufstätigkeit von Frauen betrifft.

Dr. Kristina Schröder: Die von Ihnen zitierte Expertise gibt es noch gar nicht. Was es gibt, sind Teilberichte, die jeweils auch nur einen Teil der wissenschaftlichen Arbeit abbilden.

Frage: Woran bemessen Sie den Erfolg der deutschen Familienpolitik?

Dr. Kristina Schröder: An fünf Kriterien: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wirtschaftliche Stabilität von Familien, Erfüllung des Kinderwunsches, Wahlfreiheit der Eltern, gute Entwicklung von Kindern. An diesen fünf Zielen müssen sich die Familienleistungen ausrichten. So lautete auch der Auftrag an die Wissenschaftler.

Frage: Die Franzosen sind stolz auf ihre hohe Geburtenrate, die Skandinavier auf die geglückte Gleichstellung von Vätern und Müttern in Familien und Beruf. Worauf wären Sie gerne stolz?

Dr. Kristina Schröder: Ich stelle diese Ziele in keine Rangfolge, denn ich stelle auch Familienmodelle in keine Rangfolge. Alle sind gleichermaßen wichtig. Eine Familienpolitik, die nur darauf ausgerichtet ist, junge Mütter so schnell wie möglich Vollzeit an den Arbeitsplatz zurückzubringen verkennt die Lebensplanung vieler junger Frauen. Lediglich 18 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern wollen Vollzeit arbeiten. 61 Prozent wünschen sich Teilzeit um Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können und flexible Arbeitszeitmodelle. Hier müssen wir doch ansetzen.

Frage: Bei den Ausgaben für Familienleistungen steht Deutschland international mit an der Spitze, bei der Geburtenrate liegen wir weit zurück. Das ist doch ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Familienpolitik nicht gut funktioniert.

Dr. Kristina Schröder: In der Tat wünschen sich Familien in Deutschland mehr Kinder, als sie bekommen, und wir müssen uns fragen, woran das liegt.

Frage: Wie lautet Ihre Antwort?

Dr. Kristina Schröder: Es gibt viele, vor allem persönliche Gründe, auf die die Politik überhaupt keinen Einfluss hat, zum Beispiel der fehlende Partner. Familienpolitik ist komplex und de Entwicklung der Geburtenrate folgt, wie wir wissen, langfristigen Trends. Da kann Politik nur behutsam etwas zutun, aber nicht die Menschen verändern.

Frage: Ihre Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen hat klar gesagt, sie wolle, dass in Deutschland mehr Kinder geboren werden. Ist das auch Ihr Ziel?

Dr. Kristina Schröder: Ich halte die Fixierung der Familienpolitik allein auf die Geburtenrate für unangemessen. Es muss auch um anderes gehen, zum Beispiel darum, es Eltern zu ermöglichen, das erste Lebensjahr mit ihrem Kind zu verbringen. Oder darum, dass manche finanziellen Nachteile von Eltern gegenüber kinderlosen Paaren ausgeglichen werden.

Frage: Erst hieß es, junge Eltern sollten möglichst schnell in ihren Beruf zurückkehren, deshalb das Elterngeld. Nun aber fördern Sie Eltern, die wegen der Kinder zu Hause bleiben, indem sie künftig ein Betreuungsgeld zahlen. Wer soll das verstehen?

Dr. Kristina Schröder: Richtig ist: Das Betreuungsgeld ist nicht daran geknüpft, dass Eltern zu Hause bleiben, sondern kann auch für eine privat organisierte Kinderbetreuung, zum Beispiel eine Tagesmutter, eingesetzt werden. Die Politik darf nicht vorgeben, wie Familien zu leben haben. Wir reden hier von Kindern unter drei Jahren. Wir wissen aus Umfragen: Rund die Hälfte der Eltern von Kleinkindern möchte die Betreuung zu Hause organisieren. Die andere Hälfte will einen Kitaplatz. Ich fände es anmaßend als Staat der einen Hälfte zu sagen: Ihr macht es falsch und die anderen machen es richtig. Das wissen die Familien besser.

Frage: Ihre Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen hatte ein klares Leitbild: die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf insbesondere für Frauen. Und jetzt kommen Sie und wollen es allen Recht machen.

Dr. Kristina Schröder:  Ich nehme ernst, was Familien wünschen und wollen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf keine Einbahnstraße sein. Und: Da gibt es ganz unterschiedliche Präferenzen. Die einen wollen nach der Geburt ihres Kindes gerne schnell wieder arbeiten, so wie ich das ja auch gemacht habe. Die anderen möchten lieber noch einige Zeit für ihr Kind aussetzen, was ich ebenfalls sehr gut verstehen kann. Ich habe bislang selten gehört, dass Menschen auf dem Sterbebett rückblickend bedauert hätten, zu wenig Zeit im Büro verbracht zu haben. 

Frage: Wenn Sie etwa mit dem Betreuungsgeld die Frauen ermuntern, nicht arbeiten zu gehen, ist das doch auch eine Form der Verhaltenslenkung, und zwar eine folgenschwere. Die Karriere leidet, das Einkommen entwickelt sich schlechter, die Abhängigkeit vom Partner wächst.

Dr. Kristina Schröder: Trauen Sie den Frauen mehr Selbstbewusstsein zu! Das Betreuungsgeld kommt zeitgleich mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Jede Familie kann sich künftig aussuchen, ob sie eine Sachleistung in Form eines Kita-Platzes, für den der Staat 1000 Euro im Monat bezahlt, in Anspruch nimmt oder ein Barleistung von 150 Euro.

Frage: Haben wir das Geld für noch eine weitere familienpolitische Sozialleistung?

Dr. Kristina Schröder: Das Betreuungsgeld kostet in diesem Jahr 55 Millionen Euro. 

Frage: Aber es wird ansteigen auf 1.4 Milliarden Euro im Jahr. 

Dr. Kristina Schröder: Warten wir doch erst einmal ab, wie beliebt es wird.

Frage: Was ist mit dem Ehegattensplitting? Kostenpunkt: 20 Milliarden Euro. Auch hier sagen Ihre Experten: weitgehend unwirksam.

Dr. Kristina Schröder: Falsch, die Experten analysieren das Ehegattensplitting unter mehreren Gesichtspunkten und messen es nicht nur eindimensional daran, ob es die Erwerbstätigkeit steigert. Das ist aber auch nicht das Ziel des Ehegattensplittings.  Wenn eine Frau 4000 Euro verdient und ihr Mann nichts, dann zahlt dieses Paar gleich viel Steuern wie das Paar, bei dem beide 2000 Euro verdienen. Dafür sorgt das Splitting, und das ist auch gerecht. Im Übrigen: Interessanterweise denkt niemand daran, was der Staat eigentlich dadurch spart, dass zwei Ehepartner auch finanziell füreinander einstehen und deshalb eben gerade keine Hilfe vom Staat in Anspruch nehmen. 

Frage: Im Gegenteil: Es behandelt die Familien sehr ungleich. Ein unverheiratetes Paar mit vier Kindern profitiert nicht von Ehegattensplitting, ein kinderloses, aber verheiratetes Paar hingegen schon. Finden Sie das etwa gerecht?

Dr. Kristina Schröder: Ich finde es richtig, dass der Staat die Ehe unterstützt. Genauso sollte der Staat aber auch unverheiratete Paare mit Kindern unterstützen. Deshalb bin ich dafür, dass Ehegattensplitting stufenweise zu einem Familiensplitting weiterzuentwickeln.

Frage: Was darf das den Staat kosten?

Dr. Kristina Schröder: Finanzminister Wolfgang Schäuble und ich werden uns darüber unterhalten, wenn die Evaluation abgeschlossen ist.

Frage: Wann wird das sein?

Dr. Kristina Schröder: Die wesentlichen Ergebnisse werden im Frühsommer vorliegen, dann werden wir auch erste politische Schlüsse ziehen. Ich habe immer gesagt, Veröffentlichungen gibt es, wenn Ergebnisse vorliegen. 

Frage: Ist der Finanzminister nicht eher daran interessiert, den Wildwuchs in der Familienpolitik zu beschneiden?

Dr. Kristina Schröder: Wolfgang Schäuble betrachtet die Familienpolitik nicht als Steinbruch zur Sanierung der Staatsfinanzen. Wir sind uns einig, dass der Sparbeitrag der Familienpolitik für diese Legislaturperiode erfüllt ist.

Frage: Ist es nicht an der Zeit, auch einmal eine Familienleistung zu kürzen?

Dr. Kristina Schröder: Wie gesagt, Familien haben bereits genug zur Sanierung der Staatsfinanzen beigetragen.

Frage: Lassen uns Sie uns doch konkret werden. Das Familiensplitting, das sie fordern, wird sehr teuer, Experten sprechen von bis zu 15 Milliarden Euro pro Jahr. Sie könnten das dadurch finanzieren, indem Sie das Ehegattensplitting für Paare ohne Kinder kürzen.

Dr. Kristina Schröder: Ich werde keine Ergebnisse vorweg nehmen, so lange die Evaluierung nicht vorliegt. Und sie wissen auch, dass es unterschiedliche Modelle des Familiensplittings gibt. 

Frage: Ist es eigentlich fair, dass die Gattin eines Spitzenverdieners, die nicht arbeitet und keine Kinder hat, sich beitragsfrei bei ihrem Mann krankenversichern kann?

Dr. Kristina Schröder: Die meisten Frauen und Männer, die beitragsfrei mitversichert sind, machen eine Auszeit vom Beruf, weil sie sich um ihre Kinder kümmern. Das halte ich auch für richtig und auch für gerecht.

Frage: Ein anderer großer Block der Familienförderung ist das Kindergeld, das pro Jahr 20 Milliarden Euro kostet. Warum ist es eigentlich Aufgabe des Staates, Spitzenverdienern pro Monat rund 200 Euro für Kinder zu bezahlen, die sie mühelos mit ihrem eigenen Geld durchbringen könnten?

Dr. Kristina Schröder: Das Kindergeld ist vom Grundgedanken her keine Barleistung, sondern eine verfassungsrechtlich gebotene Steuerfreistellung für das Existenzminimum der Kinder. Nur diejenigen, die von einer Steuerfreistellung zu wenig oder gar nichts hätten bekommen eine Barleistung. Das wissen viele nicht und deshalb ärgern sich manche darüber, dass einige praktisch mehr sparen als andere bekommen. 

Frage: Aber eigentlich ist das Kindergeld doch dazu da, Kinderarmut zu vermeiden...

Dr. Kristina Schröder: ...und da ist es auch extrem effektiv. Bei vielen Familien trägt das Kindergeld dazu bei, dass sie nicht in den Bezug von Hartz IV rutschen.

Frage: Das ist doch Schönfärberei: In Deutschland gelten gerade mal zwei Prozent der Rentner als arm. Dagegen leben 15 Prozent der deutschen Kinder in armen Familien, wenn sie bei einer alleinerziehenden Mutter aufwachsen, liegt die Zahl sogar bei 36 Prozent.

Dr. Kristina Schröder: Kein Mensch behauptet, dass wir über das Kindergeld das Armutsproblem lösen. Dafür haben wir Sozialleistungen. Aber wenn Sie sich die Entwicklung der Kinderarmut anschauen, dann haben wir in Deutschland seit Beginn des neuen Jahrtausends sogar einen leichten Rückgang. Und dazu hat auch das Kindergeld beigetragen.

Frage: Ihre Experten sagen, die Armut in den Familien ließe sich viel effizienter bekämpfen, wenn man es Frauen erleichtern würde, nach der Geburt ihres Kindes schnell in den Beruf einzusteigen. Das Kindergeld setzt aber eher einen Anreiz, zu Hause zu bleiben.

Dr. Kristina Schröder: Wollen Sie ernsthaft, dass alle Frauen schon acht Wochen nach der Geburt wieder arbeiten müssen? Das wäre zutiefst unmenschlich. Ich war zehn Wochen nach der Geburt meiner Tochter wieder im Büro. Ich weiß, was das bedeutet.

Frage: Uns geht es darum, dass die Politik sogar noch Hürden aufbaut für die Berufstätigkeit von Müttern. Durch den schleppenden Ausbau der Kitas. Durch das Betreuungsgeld, das Frauen dazu animiert, möglichst lange mit dem Beruf auszusetzen.

Dr. Kristina Schröder: Selbstverständlich haben wir in Deutschland noch zu wenig Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Da hat die Politik über viele Jahre gepennt. Genau deswegen hat die Bundesregierung den Ländern, die für den Kita-Ausbau zuständig sind mit 5.4 Milliarden Euro bis 2014 kräftig geholfen, damit der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz am 1. August auf soliden finanziellen Beinen steht. Angesichts der Zitterpartie in vielen Ländern wundert mich die Großspurigkeit der SPD, jetzt schon über neue Rechtsansprüche für 24-Stunden-Kitas und Ganztagsschulen zu schwadronieren.

Frage: Wenn man mit Experten für Familienpolitik redet, dann ziehen diese immer das gleiche Fazit: Es ist sinnvoll, Geld in Infrastruktur zu stecken, also in Kitas und Ganztagsschulen. Aber es ist wenig sinnvoll, staatliches Geld als Transferleistungen für die Familien zu verteilen. Warum hören Sie nicht auf sie?

Dr. Kristina Schröder: Ich bin nicht bereit, die Familienpolitik allein an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und den Arbeitgebern auszurichten. Ich weiß nicht, in welchem Staat Sie leben wollen. Ich finde einen Gouvernantenstaat anmaßend, der den Familien sagt, wie sie zu leben haben, statt sie bei ihrer freien Entscheidung zu unterstützen.

Frage: Der Gouvernantenstaat ist einer, der Geld dafür auslobt, dass Frauen zu Hause bei ihren Kindern bleiben.

Dr. Kristina Schröder: Unsinn! Den Gouvernantenstaat will die SPD. Die sagt: Wer dem Leitbild nicht entspricht kurz nach der Geburt wieder Vollzeit zu arbeiten, soll auch nicht gefördert werden. Deswegen sagt die SPD: Weg mit dem Kinderfreibetrag, weg mit dem Ehegattensplitting.

Frage: Sie verteidigen doch einen Lebensentwurf aus den 50er Jahren. Welche junge Frau will heute noch dauerhaft Hausfrau sein? 

Dr. Kristina Schröder: Ich bitte Sie, worüber reden wir denn? Natürlich wollen die meisten Eltern arbeiten, wenn die Kinder älter als drei Jahre sind. Genauso wollen die meisten Eltern im ersten Lebensjahr ihres Kindes die Kinderbetreuung selbst übernehmen. Der Streit dreht sich doch allein darum, was mit Kinder zwischen dem ersten und dem dritten Geburtstag geschieht. Und da sage ich: Lasst doch bitte die Familien entscheiden, was die sinnvollste Lösung ist.

Frage: Unter Ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen galt Familienpolitik noch als Domäne der CDU. Jetzt will der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf diesem Feld angreifen. Zeigt das nicht, dass in Ihrer Amtszeit etwas schiefgelaufen ist?

Dr. Kristina Schröder: Wenn die SPD dafür sogar ihren Kanzlerkandidaten braucht, ist mir das Recht. Das zeigt nur, dass die SPD Nachholbedarf hat. Kürzlich hat Peer Steinbrück im Bundestag gesagt, das Betreuungsgeld gefährde die berufliche Selbstbestimmung von Frauen. Was für ein Unsinn. Wer glaubt, nur weil man uns Frauen 150 Euro hinhält vergessen wir gleich sämtliche berufliche Ambitionen, der lebt in den 50er Jahren und hat in der Tat ein Problem mit seinem Frauenbild. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung mit der SPD.

Frage: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.