Varianten der Geschlechtsentwicklung Ärztliche Leitlinie stärkt Rechte von Betroffenen

Grafisch abgebildete Farben des Regenbogens
Der Regenbogen als Symbol für Toleranz und Vielfalt© Bildnachweis: Fotolia

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland (AWMF) hat am 19. August die neue Leitlinie zum Umgang mit "Varianten der Geschlechtsentwicklung" veröffentlicht. Unter "Varianten der Geschlechtsentwicklung" werden Diagnosen zusammengefasst, bei denen die körperlichen Kennzeichen für Männlichkeit oder Weiblichkeit wie Chromosomen, Keimdrüsen oder äußerliche Geschlechtsmerkmale keine eindeutige Zuordnung zulassen.

Früher wurden diesbezüglich die Begriffe "Intersexualität" oder "Hermaphroditismus/Pseudohermaphroditismus" verwandt. Diese Begrifflichkeiten wurden 2005 mit der Einführung des Begriffs "disorders of sex development" (DSD) abgelöst.

Die Leitlinie empfiehlt, operative Eingriffe beim nicht-einwilligungsfähigen Kind nur dann durchzuführen, wenn sie einer medizinischen Indikation unterliegen und nachfolgenden Schaden vom Kind abwenden. Damit stützt sie sich auf die Forderungen der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (VN) und des Deutschen Ethikrats. Grundsätzlich plädiert die Leitlinie für die eigene Entscheidung der Betroffenen beziehungsweise das Abwarten der Entscheidungsfähigkeit des Kindes: "Eine Entscheidung im Sinne des Kindeswohl ist nur sachgemäß möglich, wenn dem Kind selbst Gehör geschenkt wird."

Peer Beratung soll unterstützen

Die Leitlinie empfiehlt weiterhin, schon nach Geburt eines Kindes mit vermuteter DSD der Familie eine kompetente psychologische Begleitung der Familie zur Seite zu stellen und sie bei nachgewiesener DSD außerdem durch eine Peer-Beratung zu unterstützen, die auch während der weiteren Entwicklung, gegebenenfalls bis ins Erwachsenenalter angeboten wird. Diagnostik, Beratung und Therapiekonzept sollten in einem Kompetenzzentrum mit multidisziplinären Teams erfolgen.

Geschlechtliche Vielfalt anerkennen

Allen Empfehlungen vorangestellt ist die Forderung, dass es für eine adäquate psychologisch-medizinische Begleitung und Behandlung bei DSD eine Umkehr im Denken braucht: weg von der Vorstellung der reinen "Zweigeschlechtlichkeit" hin zur Akzeptanz einer Vielfalt an geschlechtlichen Identitäten.

Herausgegeben wurde die Leitlinie von der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) e. V., der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED) e. V. Erstellt wurde sie in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Fachgesellschaften und Interessenverbänden von Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung Patienten. Die Leitlinie wendet sich an die Ärzteschaft, an die Kinderpsychologie und -psychiatrie, die Allgemeinmedizin, Geburtshilfe sowie Krankenkassen, Rentenversicherungen, Sozialgerichte und die interessierte Fachöffentlichkeit. Sie gibt Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung und ihren Angehörigen zum Zeitpunkt der Geburt und im weiteren Lebenslauf.

Aus Sicht des Bundesfamilienministeriums ist die Leitlinie ein weiterer wichtiger Schritt zur Berücksichtigung des Kindeswohls und eine Anerkennung der Entscheidungsfreiheit von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung zur Ausbildung ihrer eigenen Geschlechtsidentität.